Von Papier und Elektronik …von Martin Ulrich
Seit mehreren Monaten ist die justizinterne Diskussion um ein Schlagwort reicher: „Justiz 3.0“. Trotz der technisch anmutenden Bezeichnung verbirgt sich dahinter natürlich kein – wie man es dieser Tage allenfalls vermuten könnte – neues Abhörprogramm. Auch zur erhöhten Abhörsicherheit Österreichs wird damit nicht beigetragen. Technisch bleibt die Angelegenheit aber allemal. Seit vergangenen April wird auf Initiative des Bundesministeriums für Justiz unter Einbeziehung von Vertretern der justiziellen Praxis aus allen Bereichen, der Standesvertretung und des Bundesrechenzentrums in mehreren Arbeitsgruppen sowie Steuerungs- und Entscheidungsgremien an der Herkulesaufgabe gearbeitet, mittel- bis langfristig die Justiz EDV-mäßig auf bessere Beine zu stellen und dort, wo es Sinn macht, verstärkt elektronische Unterstützung bei der Bewältigung unserer täglichen Aufgaben zu bieten. Dabei soll insbesondere ausgelotet werden, ob und wie die Arbeit der Richterinnen und Richter sowie der (bereits jetzt verstärkt „elektronisch“ arbeitenden) Staatsanwältinnen und Staatsanwälte durch eine neue EDV-Unterstützung effizienter bewerkstelligt werden kann. Essentiell ist dabei die – bereits erwähnte – intensive Einbindung der Praxis. Denn es geht nicht darum, auf „Teufel komm raus“ langjährig gewachsene, meist bewährte Strukturen aus ihrer bisherigen Papierbezogenheit herauszulösen und unter hohen Reibungsverlusten in ein neues elektronisches Kleid zu pressen, nur um sagen zu können: „Wir führen alle Verfahren elektronisch.“. Wie meist alles bloß „aus Prinzip“ Umgesetzte wäre ein solcher Ansatz wie auch ein auf diese Weise geschaffener „elektronischer Akt“ abzulehnen. Denn nicht die Justizbediensteten sind für die EDV da, sondern umgekehrt. Es geht auch nicht darum, durch die Verlagerung von Arbeit auf die Elektronik Personal einzusparen. Denn eine solche Umschichtung entpuppt sich nicht selten als eine solche zu Lasten des (überdies meist teureren) Entscheidungsorgans, die Effizienzgesichtspunkten allzu oft nicht gerecht wird. Worum geht es also? Sinn machen die Eingangs erwähnten Bemühungen dann, wenn benutzerorientierte Anwendungen geschaffen werden können, die den Arbeitsalltag aller betroffenen Anwender nachhaltig erleichtern. Das wird bei Verfahren geringeren Umfangs und hoher Regelmäßigkeit in den Bearbeitungsschritten naturgemäß leichter zu bewerkstelligen sein, als bei mittelgroßen bzw. großen Akten mit zahlreichen unterschiedlichen Erledigungen. Umgekehrt sind Großverfahren ohne elektronische Unterstützung kaum mehr sinnvoll zu führen. Die Herausforderung dieses Projektes liegt somit darin, die Grenze mit Bedacht und Augenmaß nur soweit zu verschieben, dass eine verstärkte EDV-Unterstützung unbestritten Sinn macht, gleichzeitig aber rechtzeitig zu stoppen, bevor dieser Sinn durch zeitintensive und aufwändige Bedienung in Unsinn verkehrt wird. Dabei ist die Akzeptanz neuer Lösungen ebenso wie die Bereitschaft, offen für Neues zu sein, gleichermaßen unerlässlich. Dort wo die Umsetzung dieser neuen Ansätze jedoch nicht restlos überzeugt, bildet die zugestandene Möglichkeit, auf Wunsch des Entscheidungsorgans Verfahren „auf Papier“ führen zu können, die Funktion eines Sicherheitsnetzes und begegnet wohl auch in zufriedenstellender Weise allfälligen Vorwürfen eines Eingriffes in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Dass dies fallbezogen Mehraufwand erzeugt, darf bei seriöser Betrachtung nicht verschwiegen werden. Soweit überblickbar, ist Justiz 3.0 derzeit vom Bemühen getragen, durch benutzerfreundliche Lösungen die richter- und staatsanwaltschaftliche Praxis in ihrer täglichen Arbeit sinnvoll zu unterstützen sowie durch künftig verstärkten EDV-Einsatz allenfalls gewonnene Personalkapazitäten in anderen notleidenden Bereichen einzusetzen. Geäußerte Bedenken werden in einem offenen Diskussionsprozess ernst genommen. Gemeinsam wird nach praktikablen Lösungen gesucht. Bleibt zu hoffen, dass das auch in Zukunft so bleibt! |