Editorial 05/2012
Von Wertgrenzen und Wertschätzung
von Werner Zinkl

Die im Zusammenhang mit den geplanten Gerichtszusammenlegungen angekündigte Wertgrenzennovelle soll zusätzlich zu einer Stärkung der Bezirksgerichte führen, so wurde es zumindest von der Frau Bundesministerin in einer Machbarkeitsstudie gegenüber den Landeshauptleuten angekündigt. Worin die Stärkung liegen soll, wenn die Bezirksgerichte mit unveränderten Ressourcen eine größere Arbeitslast zu bewältigen haben werden, wurde nicht erklärt. Zweifellos ergibt sich dadurch die Möglichkeit eines Belastungsausgleichs zwischen den mit durchschnittlich 120 % ausgelasteten Landesgerichten gegenüber den mit ca. 105 % ausgelasteten Bezirksgerichten. Das ist gegenüber den bei den Landesgerichten tätigen Kolleginnen und Kollegen nur fair und aus diesem Grund auch zu begrüßen.

Mit dem nunmehr gefundenen Kompromiss einer stufenweisen Erhöhung der Wertgrenzen von zunächst € 15.000.- ab 1.1.2013 und der Einrichtung einer PAR-Systempflege zur genauen Analyse der Auswirkungen einer Wertgrenzenerhöhung in den Sparten C, Cg, R, sowie bei den Oberlandesgerichten ist uns gelungen, die Auswirkungen abzufedern.

Ob es in der Folge zu den weiteren Erhöhungen auf  € 20.000.- mit 1.1.2015 und auf € 25.000.- mit 1.1.2016 kommen wird, sollte nach umfassender Analyse der Auswirkungen der ersten Erhöhung neuerlich beurteilt werden. Es muss klar sein, dass dieser zweifellos erzielbare Belastungsausgleich zwischen Bezirks- und Landesgerichten unseren Personalmangel in der Justiz nicht beheben wird, es wird die deutliche Überlastung lediglich gerechter verteilt. Ohne eine rasche personelle Aufstockung wird es nicht gehen, das sollte den politisch Verantwortlichen klar sein. Mit Zusammenlegungen von Bezirksgerichten und Wertgrenzennovellen werden wir dieses Problem nicht lösen können.
 
Was im Lichte neuerlicher Kompetenzverschiebungen ins Auge sticht, ist die unterschiedliche Besoldung von Richterinnen und Richtern an den unterschiedlichen Gerichtstypen. Da in unserer Gesellschaft Entlohnung durchaus als Gradmesser der Wertschätzung angesehen wird, verwundert immer mehr, dass die Tätigkeit an unterschiedlichen Gerichten unterschiedlich besoldet wird. Ist die Behandlung eines Zivilprozesses mit höherem Streitwert tatsächlich mehr wertzuschätzen als ein Verfahren mit geringerem Streitwert, ist die Lösung eines Familienrechtsproblems tatsächlich weniger wertzuschätzen als die Abwicklung einer Unternehmensinsolvenz, verdient die zweitinstanzliche Rechtsprechung tatsächlich eine unterschiedliche Bewertung, wenn sie an verschiedenen Gerichtstypen ausgeübt wird?

Eine Wertgrenzenerhöhung und die damit verbundene Verschiebung von Zuständigkeiten von den Landesgerichten zu den Bezirksgerichten und im Rechtsmittelbereich von den Oberlandesgerichten zu den Landesgerichten macht natürlich auch eine entsprechende besoldungsrechtliche  Berücksichtigung erforderlich. Zwar ist ein erster Schritt eines konsequenten Weges in diese Richtung im Regierungsprogramm dieser Legislaturperiode schon vorgezeichnet, worin eine Anpassung der Richter der ersten Instanzen auf Staatsanwaltschaftsniveau angekündigt wird, Umsetzungsschritte dieses vereinbarten Ziels der Koalition lassen aber auf sich warten.

Auch die eigentliche Gerichtszusammenlegungsdebatte ist Nährboden für Missverständnisse. In – manchmal vielleicht verkürzt wiedergegebenen - Wortmeldungen wird für den Uneingeweihten der Eindruck erzeugt, der Wert kleiner Gerichtseinheiten wird nicht erkannt. Tatsächlich funktionieren diese Einheiten gut und liegen hinsichtlich der Verfahrensdauer oft im Spitzenfeld. Es ist also nicht ihre Leistung, die nicht geschätzt wird, es sind vielmehr die immer wieder bei kleinen Einheiten auftretenden organisatorischen Schwierigkeiten,  die Überlegungen zu einer Konzentration ausgelöst haben. Vielfach wird der Betrieb vor allem im Beamten-, Vertragsbediensteten- und Rechtspflegerbereich nur durch Zuteilungen von anderen Gerichten aufrechterhalten. Dies beeinträchtigt aber bisweilen den Betreib der Einheiten, die das dort benötigte Personal zur Verfügung stellen müssen. Das ist das eigentliche Problem, keinesfalls mangelnde Wertschätzung der an kleinen Gerichten geleisteten Arbeit. Der Dienstgeber wird seine Wertschätzung gegenüber allen von den Gerichtsauflösungen betroffenen  Bediensteten durch rechtzeitige umfassende Information über geplante Maßnahmen und die Minimierung der nachteiligen persönlichen Auswirkung auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Beweis zu stellen haben.

Wie sehr in der Gerichtsbarkeit Frauen in allen Instanzen und Funktionen geschätzt sind, zeigt der verglichen mit anderen Bereichen auch des öffentlichen Dienstes sehr hohe Frauenanteil. Offenbar schätzt die Politik den Wert dieser Errungenschaft weniger. Bereits vor Monaten trat die Standesvertretung an die Frauenministerin heran, um durch zur Verfügungstellung zusätzlicher – allenfalls zweckgewidmeter – Planstellen sicherzustellen, dass mutterschutzbedingte Ausfälle unverzüglich nachbesetzt werden können. Mit Hinweis darauf, dass im Verhältnis zur Gesamtzahl der Planstellen laut Stellenplan Überstände bestünden, wurde dieses Anliegen vorerst abgetan. Der hohe Frauenanteil, wird damit zum Nachteil und bewirkt indirekten Druck auf betroffene Kolleginnen, was weder Wertschätzung der Gesellschaft für ihre Berufswahl noch für die Mutterschaft signalisiert.