| Gasteditorial 04/2013 |
Gesetzesbeschwerde gefährdet funktionierenden Rechtsschutzvon Eckart Ratz Geht es nach einem – übrigens mit den Justizsprechern nicht abgesprochenen – Antrag im Verfassungsausschuss des Nationalrats, soll jede Partei eines Zivil- oder Strafverfahrens die Möglichkeit bekommen, ein vom Gericht angewendetes Gesetz, das sie für verfassungswidrig hält, beim VfGH anzufechten. Dabei besteht ohnehin eine entsprechende Verpflichtung für alle höheren Zivil- und Strafgerichte, insbesondere auch den OGH. Diesen wird so die Peinlichkeit erspart, aus ihrer Sicht verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetze anzuwenden. Erst übereinstimmende Bedenken von ordentlichem Gericht und Verfassungsgericht sollen die Gesetzesbindung beseitigen – ein ausgeklügeltes System von „checks and balances“. Nachweise, dass die Zivil- und Strafgerichte ihrer Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nachkommen, fehlen. Im Gegenteil werden viele Normanfechtungen durch ordentliche Gerichte vom VfGH aus formellen Gründen verworfen, weil etwa der Anfechtungsgegenstand nicht exakt genug angegeben sei. Eine Gesetzesbeschwerde würde zur Verlängerung und Verteuerung der gerichtlichen Verfahren führen und die Spitzenstellung gefährden, die den österreichischen Zivil- und Strafgerichten im internationalen Vergleich zukommt. Wer im Zivilverfahren obsiegt, müsste künftig warten, ob nicht der VfGH die Sache vielleicht doch anders sieht. Auch wäre er gezwungen, das Kostenrisiko mitzutragen. Der bislang klaglos funktionierende Zivilprozess würde schwerfälliger und kostenintensiver, ohne fassbaren Gewinn. Einen solchen zu belegen, wird nicht einmal versucht, auch nicht im Strafverfahren. Und die Rechtsprechung des EGMR, an der sich alle orientieren, ist den ordentlichen Gerichten nicht weniger zugänglich als dem VfGH. Das Strafverfahren kennt zu allem hin seit 2007 eine umfassende Grundrechtsbeschwerde an das Höchstgericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, ja sogar ein subjektives Recht auf Normanfechtung. In Zivilsachen steht Verfassungs- und damit Grundrechtskonformität der angewendeten Norm als Revisionsgrund nach § 502 ZPO außer Frage. So meint Öhlinger in einem höchst lesenswerten Beitrag für die in Kürze erscheinende Berka-FS, man dürfe „den einzigen dazu legitimierenden Grund“, in „die österreichische Tradition einer Gleichrangigkeit der drei Höchstgerichte“ einzugreifen, nämlich „ein mangelndes Grundrechtsbewusstsein des VwGH (wie auch des OGH) […] heute vernachlässigen“ und spricht sich für eine Entlastung des VfGH aus, „wofür, wie die problematische Begründung mancher Entscheidungen zeigt, durchaus Bedarf bestünde.“ Die nationalen Grundrechte können es nicht sein, weswegen es manchen nach einer Gesetzesbeschwerde verlangt. Die EU-Grundrechte dürfen es nicht sein. Im stetig wachsenden Einzugsbereich des EU-Rechts gilt seit 2010 die EU-Grundrechtecharta. Sie überlagert die nationalen Grundrechte. Innerstaatliche Normen, die ihr widersprechen, müssen die ordentlichen Gerichte unangewendet lassen. Diese Pflicht darf nach der Judikatur des EuGH nicht beschränkt werden. Normanfechtung wegen Verstoßes gegen ein EU-Grundrecht hat dessen Große Kammer verboten (C-617/10, Rn 45, 48). Eine Gesetzesbeschwerde wäre also dort, wo Europarecht hineinspielt, geradezu unstatthaft: Zur Verzögerung und Verteuerung käme noch der offene Widerspruch zum Europarecht. Dieses beeinflusst übrigens schon jetzt gut und gern zumindest 2/3 der Zivilrechtsordnung. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass es in ca zehn Jahren an die 100 Prozent sein werden. Statt wegen politischer Forderungen einiger weniger, die spätestens seit 2010 als überholt anzusehen sind, das klaglos funktionierende Rechtsschutzsystem der ordentlichen Gerichte mit einer europarechtswidrigen Schleife zu gefährden, gäbe es durchaus sinnvolle Verbesserungsmöglichkeiten. Sie wurden von einer Arbeitsgruppe im OGH zusammengetragen und den Verfassungssprechern der Nationalratsparteien mitgeteilt. Man sollte demnach allen Gerichten Gesetzesprüfungsanträge erlauben, könnte die Normprüfungsvoraussetzungen senken und den Gerichten bloße Weiterleitung von Normprüfungsanträgen der Parteien gestatten und müsste schließlich eine einwandfreie Kompetenz für Staatshaftungsansprüche normieren, um den VfGH nicht zu zwingen, unter Umständen als Richter in eigener Sache aufzutreten. Wenn schon eine Verfassungsänderung, dann eine, die Sinn macht! |