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Budgetbegleitgesetz - Justiz 2011-2013 PDF Drucken E-Mail

Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (BV 23) haben zu einem Entwurf eines Budgetbegleitgesetzes-Justiz 2011-2013 (BMJ-Pr350.00/0001-Pr/2010) folgende Stellungnahme abgegeben:

I.

Zusammenfassend werden die vom Bundesministerium für Justiz (BMJ) in Aussicht genommenen Änderungen im Wesentlichen begrüßt und unterstützt. Erfreulicher Weise finden sich im Entwurf einige von den Standesvertretungen zum Teil seit langem gemachte Vorschläge wie etwa die Kostenentscheidung nach Rechtskraft bzw. der Entfall der „Verhandlungsfreien Zeit“ im Zivilverfahren oder die Einführung eines Pauschalkostenbeitrags bei erfolglosen Fortführungsanträgen im Strafverfahren. Aus den unten genannten Gründen wenden sich die Standesvertretungen allerdings entschieden und vehement gegen die Verkürzung der Gerichtspraxis und den Entfall der Senatsbesetzung bei Rechtsmittelentscheidungen über Kosten und Gebühren (II.). Abschließend wird noch auf einige Punkte im Detail eingegangen (III.). Grundsätzlich sollten tiefgreifende Änderungen des Normenbestands in Zukunft einer ausführlichen Diskussion, insbesondere im Rahmen eines ausreichend langen Begutachtungsverfahrens unterzogen werden.

II.
      
1. Art. 33: Verkürzung der Gerichtspraxis
      
RechtspraktikantInnen sind in hohem Ausmaß in den Geschäftsbetrieb der Gerichte und Staatsanwaltschaften eingebunden (Vorbereitung einfacher Erledigungen, Literatur- und Judikatursuche, Kanzlei- und Sekretariatsarbeiten, Sitzungsvertretungen in BG-Strafverfahren, Gesprächsüberwachung, Schriftführertätigkeit etc.). Die in Aussicht genommene Verkürzung der Gerichtspraxis würde der Gerichtsbarkeit wertvolle und angesichts der Personalsituation dringend benötigte Arbeitskapazitäten entziehen. Die entsprechenden Arbeiten müssten in Zukunft von den RichterInnen, StaatsanwältInnen, RechtspflegerInnen und Kanzleibediensteten zusätzlich verrichtet werden. Dies würde zu Verfahrensverzögerungen führen. Dazu kommt, dass RechtspraktikantInnen  erfahrungsgemäß erst nach einigen Monaten in komplexen Angelegenheiten eingesetzt werden können, wobei zuvor viel Zeit in ihre Ausbildung investiert wurde. Mit der vorgesehenen Änderung wäre diese Investition bis zu einem gewissen Grad frustriert. Weiters ist eine sinnvolle Aufteilung der Ausbildung in einzelnen Sparten auf nur fünf Monate nicht möglich, weil es jedes Mal einer gewissen Einarbeitungszeit und dann einer Zeit der Festigung des Erlernten bedarf. Aufgrund eines bloßen „Schnupperns“ in unterschiedliche Sparten kann auch keine seriöse Beurteilung von ÜbernahmswerberInnen  getroffen werden, weshalb eine Verkürzung der Gerichtspraxis nicht ohne negativen Einfluss auf die Qualität des richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Nachwuchses bleiben würde. Aber auch für die Qualität der RechtsanwältInnen und NotarInnen ist es unerlässlich, einen umfassenden (!) Einblick und dadurch Verständnis für die Abläufe in der Gerichtsbarkeit zu erlangen. Dem kommt besondere Bedeutung für die spätere Zusammenarbeit mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften zu. Eine verkürzte Gerichtspraxis würde in diesem Bereich zu einer Verschlechterung führen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass eine Kürzung auch des Ausbildungsbeitrags die Aufnahme qualifizierten Nachwuchses für die Richter- und Staatsanwaltschaft erschweren würde. Zusammengefasst würde es sich bei der Verkürzung der Gerichtspraxis um eine die Effizienz der Gerichtsbarkeit senkende Maßnahme handeln.

2. Art. 12, § 8a JN; Art. 27, §§ 31 Abs. 5, 33 Abs. 2 StPO: Entfall der Senatsbesetzung bei Rechsmittelentscheidungen über Kosten und Gebühren
      
Rechtsmittelverfahren und Senatsgerichtsbarkeit gehören untrennbar zusammen. Die teilweise Auflösung der Senate wäre europaweit einzigartig und völlig systemwidrig bzw. eine offene Bankrotterklärung der Justiz. Mit gutem Grund findet derzeit eine Überprüfung der Entscheidungen von (in aller Regel) EinzelrichterInnen durch einen Senat von drei RichterInnen nach dem bildhaften und qualitätsfördernden Motto „sechs Augen sehen mehr als zwei“ statt. Dazu kommt, dass die vorgesehene Änderung zu einer weiteren Zersplitterung der im Bereich der Kosten und Gebühren schon jetzt nicht immer einheitlichen Rechtsprechung führen würde. Dies wäre der Rechtssicherheit und Übersichtlichkeit in dem Bereich weiter abträglich und daher insbesondere der rechtsuchenden Bevölkerung nicht zumutbar. Nicht zuletzt handelt es sich beim Kostenanspruch um ein „Civil Right“ (s. Beer gegen Österreich, Urteil des EGMR v.6.2.2001), was in der Zuerkennung der Zweiseitigkeit des Kostenrekurses im Zivilverfahren seinen Niederschlag fand. Rechtsmittelentscheidungen über Kosten und auch Gebühren wären daher auch weiterhin der Senatsgerichtsbarkeit zu unterstellen.

III.
       
1. Art. 23 Zivilprozessordnung

§ 52 ZPO
Eine weitergehende Effizienzsteigerung wäre die Entscheidung über die Kosten nach Rechtskraft ausschließlich über Antrag, weil der Fall denkbar ist, dass sich die Parteien nach Abschluss eines Verfahrens in der Hauptsache in diesem Punkt schließlich einigen. Die Entwicklungen bezüglich der vorgeschlagenen Änderung im Verhältnis zwischen Erstgerichten und Rechtsmittelgerichten werden zu beobachten sein.

§ 54 Abs. 1a ZPO
Im Zusammenhang mit unvertretenen Parteien bereitet diese Bestimmung in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten. Eine auch diesbezügliche Klarstellung wäre wünschenswert.

§§ 64 ZPO u.a.
Die weitgehende Abschaffung protokollarischer Anbringen im Zivilprozess würde in einigen wenigen Bereichen zu teilweise schwer nachvollziehbaren, unterschiedlichen Behandlungen von Geschäftsfällen innerhalb bestimmter Fallgruppen führen, die zudem häufig in ein- und derselben Gerichtsabteilung bearbeitet werden. Etwa wäre ein solches protokollarisches Anbringen in einer Aufkündigungssache (C) zukünftig nicht mehr möglich, in einer außerstreitigen Mietrechtssache (MSch) aber schon. Ebenso könnte eine Scheidungsklage nicht mehr zu Protokoll gegeben werden, eine Antrag betreffend Obsorge aber doch. Abgrenzungsschwierigkeiten gäbe es etwa auch im Fall eines Wiedereinsetzungsantrags, der in Zukunft nicht mehr zu Protokoll gegeben werden kann. Bei einem damit oft verbundenen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit gemäß § 7 Abs. 3 EO oder einem Aufschiebungsantrag gemäß § 44 EO bestünde die Möglichkeit aber weiterhin. Diesbezügliche Klarstellungen wären wünschenswert. Im Übrigen wird bei dieser Gelegenheit auf die dem BMJ von den FG Außerstreit- und Familienrecht bzw. Verfassungs- und Dienstrecht (AK GerichtsvorsteherInnen) schon vor der Übermittlung des BBG zur Stellungnahme und völlig unabhängig davon übermittelten, umfassenden Vorschläge zur Reform des Amtstags (Stichwort: Entwicklung eines Formularwesens) verwiesen.

§ 86a ZPO
Eine derartige, ebenso sinnvolle Regelung, die zudem ähnlich für den Bereich der Justizverwaltung vorgeschlagen wird (Art. 32, § 78 Abs. 5, 6 GOG), wäre auch im strafgerichtlichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Bereich zur Arbeitserleichterung dringend erforderlich.

§ 393a ZPO
Eine Ausweitung dieser sinnvollen Regelung etwa auch auf Fragen der Aktivlegitimation wäre wünschenswert.
       
2. Art. 25 Strafgesetzbuch

§ 43a Abs. 1 StGB
Ein Entfall der gänzlich bedingten Geldstrafe würde zu einem deutlichen Ansteigen von Berufungen führen, was im Hinblick auf die ohnedies angespannte Personalsituation kontraproduktiv wäre.

§ 88 StGB  
Die Einschränkung der Strafbarkeit auf eine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit von mehr als vierzehntägiger Dauer würde zu einer bloßen Verschiebung des Personalaufwands in den Zivilbereich führen. 
      
3. Art. 27 Strafprozessordnung

§§ 84 Abs. 2, 88 Abs. 1, 285 Abs. 3 StPO
Der weitgehende Entfall der Möglichkeit protokollarischer Anbringen im Strafbereich sollte auch in § 8 Abs. 2 und 3 DV-StAG berücksichtigt werden, um eine Verschiebung auf den staatsanwaltschaftlichen Bereich zu vermeiden.

§ 126 Abs. 2a StPO (Art. 1, § 75 Abs. 4 ASGG)
Es wäre jedenfalls gesetzlich sicherzustellen, dass die AmtsdolmetscherInnen den gleichen Qualitätsanforderungen entsprechen wie die zertifizierten DolmetscherInnen. Die Qualität von Dolmetschleistungen und Übersetzungen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 MRK. Es gilt, Widersprüche zur jüngst erlassenen Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren (Amtsblatt L280/1 vom 26.10.2010) zu vermeiden.
       
§ 196 Abs. 2 StPO
Hinsichtlich des Pauschalkostenbeitrags bei erfolglosen Fortführungsanträgen wird zwecks Effizienzsteigerung dieser Maßnahme vorgeschlagen, den Beitrag schon im Zug der Erhebung des Antrags einzuheben. Eine entsprechende Rechtsbelehrung und Nennung einer Bankverbindung könnte im Rahmen der Opferverständigung erfolgen. Die Sachbearbeitung wäre bis zum Nachweis der (fristgebundenen: § 195 Abs. 2 StPO) Einzahlung aufzuschieben. Im Fall eines erfolgreichen Antrags wäre der geleistete Beitrag zurück zu überweisen. Eine weitergehende Möglichkeit wäre die Rückerstattung des Pauschalkostenbeitrags erst bei einem späteren Schuldspruch, wenn ein Privatbeteiligtenanschluss mit entsprechender Antragstellung erfolgte. Die Vorteilhaftigkeit dieser beiden Vorschläge gegenüber der angestrebten nachträglichen Einhebung ist angesichts einer Erfolgsrate der Fortführungsanträge von rund 10 % evident. Zudem wäre damit auch die Präventionsfunktion eines Pauschalkostenbeitrags besser erfüllt. Ein Rechtsmittel gegen die Gebührenvorschreibung ist jedenfalls abzulehnen.      

 
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