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Berufsrechts-Änderungsgesetz 2013 PDF Drucken E-Mail

Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (BV 23) erstatten auf Basis einer Äußerung der Fachgruppe Europarecht und internationale Richterzusammenarbeit der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zum Entwurf eines Berufsrechts-Änderungsgesetzes 2013 (BRÄG 2013) folgende Stellungnahme:

zur beabsichtigten Änderung des § 6 EIRAG:

1. Allgemeines:

Die kurze Begutachtungsfrist ist unzumutbar, zumal zeitgleich zahlreiche andere Entwürfe mit einer ebenso kurzen Frist zu begutachten waren.

2. Inhaltliche Auseinandersetzung:

Die Fachgruppe Europarecht und internationale Richterzusammenarbeit der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter teilt die Ansicht, dass die vom OGH zu 7 Ob 135/04k vertretene Auffassung, § 6 EIRAG in der geltenden Fassung sei uninonrechtskonform, angesichts der Entscheidung des EuGH vom 19.12.2012, Rs C-325/11 („Alder“) nicht gänzlich aufrecht erhalten werden kann.

Eine Änderung zur Herstellung der Unionsrechtskonformität erscheint zweckmäßig, um Zweifelsfragen, wie weitgehend § 6 EIRAG durch den Anwendungsvorrang des Europarechts verdrängt wird, zu verhindern.

Mit der vorgeschlagenen Änderung wird jedoch § 6 EIRAG viel weitgehender geändert, als dies zur Herstellung der Unionsrechtskonformität erforderlich erscheint: Wie in den Erläuterungen zum gegenständlichen Entwurf selbst festgehalten wird, bestehen nämlich keine Bedenken dagegen, dienstleistende europäische Rechtsanwälte zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten zu verpflichten; vielmehr ist diese Maßnahme zur Erreichung des übergeordneten Ziels eines zügigen Verfahrensablaufs gerade in einem gerichtlichen Zivil- oder Strafverfahren und den dabei einzuhaltenden Verfahrensgarantien des Art 6 MRK erforderlich. In der genannten Entscheidung vom 19.12.2012, C-325/11 („Alder“) stellte der EuGH auch nur einen Widerspruch zur Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 (in der Folge: EuZVO) fest, hielt aber in Rn 24 ausdrücklich fest, dass die Zustellung an einen Bevollmächtigten nicht in den Anwendungsbereich der genannten Verordnung fällt.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen in den Erläuterungen zum gegenständlichen Entwurf erscheinen die vorgeschlagenen Änderungen des § 6 EIRAG in folgenden drei Punkten zu weitgehend und im Sinne eines zügigen Verfahrensablaufs kontraproduktiv:

1. Nach dem Entwurf soll der Einvernehmensrechtsanwalt nicht mehr ex lege, sondern erst nach entsprechendem Auftrag durch das Gericht unter Setzung einer mindestens vierzehntägigen Frist als Zustellungsbevollmächtigter gelten.

Die  EuZVO betrifft eine derartige Regelung nicht. Auch sonst ist der Entscheidung des EuGH  vom 19.12.2012, C-325/11 („Alder“) ein derartiges Erfordernis nicht zu entnehmen.

Zumindest nach dem Wortlaut des Art 8 EuZVO müsste dieser Auftrag zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten an den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt unter Beifügung einer Übersetzung zugestellt werden, widrigenfalls mangels Sprachkenntnis ein Annahmeverweigerungsrecht bestünde. Ob der Entscheidung des EuGH vom 8. Mai 2008,  C‑14/07 („Weiss und Partner“), Slg. 2008, I‑3367, zu entnehmen ist, dass dieses Übersetzungserfordernis nur für verfahrenseinleitende Schriftstücke gelte, ist durchaus fraglich. Im Übrigen könnte vertreten werden, dass es sich bei einem derartigen Auftrag um ein die Verfahrenseinleitung betreffendes Schriftstück handle. Es muss daher vorerst davon ausgegangen werden, dass die Regelung des Art 8 EuZVO auch für die Zustellung des  Auftrags zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten an den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt gilt. Die damit erforderliche Übersetzung verursacht einerseits Kosten, andererseits aber auch eine nicht unbeachtliche Verfahrensverzögerung.

Hinzu kommt die Verzögerung durch die Zustellung ins europäische Ausland selbst: Während im Inland an Rechtsanwälte im Wege des ERV innerhalb eines Tages zugestellt werden kann und auch eine Postzustellung nur wenige Tage in Anspruch nimmt, ist in Art 7 Abs 2 EuZVO eine Einmonatsfrist für die Zustellung im Rechtshilfeweg statuiert. Dass diese Frist in vielen Fällen nicht eingehalten wird, ist bekannt und wurde unter anderem im Rahmen der Überarbeitung der EuZVO im Jahr 2007 zum Anlass einer detaillierteren Regelung der diesbezüglichen Vorgangsweise genommen. Die nach Art 14 EuZVO bestehende Möglichkeit der Zustellung per Post mit internationalem Rückschein kann zwar in vielen Fällen diese Verzögerung verringern, weist aber andere Nachteile auf: So besteht grundsätzlich keine Verpflichtung des Empfängers, das Schriftstück anzunehmen (ob Art 8 Abs 4 und 5 EuZVO in einem Umkehrschluss Gegenteiliges zu entnehmen ist, erscheint fraglich). Auch eine Zustellung durch Hinterlegung ist nicht vorgesehen. Diese Nachteile sind bei dienstleistenden europäischen Rechtsanwälten zwar von geringerer Bedeutung. Dennoch bleibt das in der Praxis nicht selten beobachtete Phänomen beachtlich, dass die internationalen Rückscheine nicht ordnungsgemäß ausgefüllt oder gar nicht an das Prozessgericht zurück gelangen.

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass das Erfordernis eines eigenen Auftrags an den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen,  zu erheblichen Verfahrensverzögerungen und zusätzlichen Kosten führt. Zur Erreichung des übergeordneten Ziels eines zügigen Verfahrensablaufs (Art 6 MRK) erscheint die bisherige Regelung, wonach mangels Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten der Einvernehmensrechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter gilt, wesentlich besser geeignet. Es ist einem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt auch durchaus zumutbar, sich bei Tätigkeit in Österreich zumindest über die Regelungen des EIRAG zu informieren, sodass eine nochmalige Aufforderung und Belehrung durch das Gericht, dass bei unterbliebener Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten der Einvernehmensrechtsanwalt als solcher gelte, entbehrlich erscheint.

2. Auch in Verfahren, in denen sich die Partei nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen oder ein Verteidiger beigezogen werden muss, erscheint die Aufrechterhaltung der Pflicht zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten zweckmäßig und unionsrechtskonform. Auch hier ist nämlich davon auszugehen, dass zur Erreichung des übergeordneten Ziels eines zügigen Verfahrensablaufs (Art 6 MRK) die mit häufigen Zustellungen in andere EU-Mitgliedstaaten verbundenen Verzögerungen und Kosten nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Warum hier ein Unterschied zwischen Verfahren mit und ohne Anwalts- bzw. Verteidigerpflicht bestehen sollte, ist nicht ersichtlich.

Unionsrechtswidrig ist – wie in den Erläuterungen des gegenständlichen Entwurfs selbst betont wird – nach der Entscheidung des EuGH vom 19.12.2012, C-325/11 („Alder“) nur die Konsequenz aus der unterbliebenen Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten, nämlich die Vorgangsweise nach § 10 ZustG. Wird nur diese Rechtsfolge bei Zustellungen in andere EU-Mitgliedstaaten für unanwendbar erklärt, kann dadurch ein unionsrechtskonformer Zustand hergestellt werden. Die Verpflichtung zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten wäre dann zwar nicht mehr mit einer direkten Sanktion für den Fall der Nichtbeachtung belegt. Dennoch kann aber von dienstleistenden europäischen Rechtsanwälten erwartet werden, dass sie auch eine lex imperfecta beachten werden. In vielen Fällen wird das bewusste Missachten einer nicht sanktionenbewehrten Norm auch zu disziplinarrechtlichen Folgen für den Rechtsanwalt führen können. Das Beibehalten der Verpflichtung zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten erscheint daher auch ohne unmittelbare Sanktion sinnvoll.

3. Der Anwendungsbereich des § 6 EIRAG betrifft nicht nur dienstleistende europäische Rechtsanwälte, die ihren Kanzleisitz in der EU haben, sondern nach § 1 Abs 1 EIRAG sämtliche Rechtsanwälte, die „Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft“ sind. Die Regelung ist daher auch auf dienstleistende europäische Rechtsanwälte anzuwenden, denen nicht nach der EuZVO zuzustellen wäre. Dies betrifft insbesondere dienstleistende europäische Rechtsanwälte aus Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Es ist aber auch denkbar, dass ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt, der Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaates ist, eine Zustelladresse in einem Drittstaat nennt.

Weiters betrifft § 6 EIRAG nicht nur zivilgerichtliche, sondern generell „gerichtliche und behördliche“ Verfahren. Auf Straf- oder Verwaltungsverfahren ist die EuZVO aber grundsätzlich nicht anwendbar.

Wie bereits in den Erläuterungen zum gegenständlichen Entwurf festgehalten, wird die Unionsrechtswidrigkeit der Zustellfiktion nach § 10 ZustG aus einem Widerspruch zur EuZVO abgeleitet. Zu Situationen außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Verordnung lässt sich der Entscheidung des EuGH vom 19.12.2012, C-325/11 („Alder“) keine Stellungnahme betreffend eine allfällige Unionsrechtswidrigkeit entnehmen. Eine solche Unionsrechtswidrigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs der EuZVO ist – wie die Erläuterungen selbst betonen – angesichts der Erforderlichkeit der Maßnahme zur Erreichung des übergeordneten Ziels eines zügigen Verfahrensablaufs gerade in einem gerichtlichen Zivil- oder Strafverfahren und den dabei einzuhaltenden Verfahrensgarantien des Art 6 MRK zu verneinen.

Es erscheint zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen daher wesentlich, eine rasche und kostengünstige Zustellungsmöglichkeit auch in jenen Fällen zu eröffnen, in denen die EuZVO nicht anwendbar ist.

Dabei könnte die Verweisung (zumindest) in Zivilverfahren auf § 98 ZPO abgeändert werden, wobei angesichts der oben (1.) dargestellten Zumutbarkeit für den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt, sich mit dem EIRAG zu befassen und der nach § 98 ZPO weniger weitgehenden Folgen erwogen werden sollte, ob nicht auch hier die nochmalige vorherige Aufforderung entbehrlich ist.

Es wird sohin angeregt, § 6 EIRAG behutsamer unter Berücksichtigung der obigen Punkte zu ändern, etwa in folgender Form:

1) Für Zustellungen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren haben dienstleistende europäische Rechtsanwälte, die keine Abgabestelle im Inland haben, bei ihrer ersten Verfahrenshandlung einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Einer Person, die keine Abgabestelle im Inland hat, kann dabei eine Zustellungsvollmacht nicht wirksam erteilt werden.

2) Wurde kein Zustellungsbevollmächtigter namhaft gemacht, so gilt in den im § 5 Abs. 1 angeführten Verfahren der Einvernehmensrechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter.

3) In anderen Fällen ist – sofern dem nicht Rechtsakte der Europäischen Union entgegenstehen –

1. in sinngemäßer Anwendung des § 10 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982, vorzugehen und die Zustellung nach erfolgloser Aufforderung an den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt durch Hinterlegung beim Gericht oder bei der Behörde vorzunehmen,

2. in bürgerlichen Rechtssachen aber in sinngemäßer Anwendung des § 98 ZPO vorzugehen und die Zustellung durch Übersendung des jeweiligen Schriftstücks ohne Zustellnachweis vorzunehmen, wobei der dienstleistende europäische Rechtsanwalt bei der ersten derartigen Zustellung auf diese Rechtsfolge und den Beginn des Fristenlaufs hinzuweisen ist.

Gleichzeitig wird angeregt, eine entsprechende Klarstellung (etwa durch Einfügung eines Einschubs „– sofern dem nicht Rechtsakte der Europäischen Union entgegenstehen –“ im zweiten Satz des Abs 1) betreffend den Anwendungsbereich des § 98 ZPO vorzunehmen.

Weiters wird aus gegebenem Anlass angeregt, bei der Überarbeitung der EuZVO (vgl deren Art 24) auf eine Klarstellung hinzuwirken, dass die Regelung des Art 8 EuZVO nur für verfahrenseinleitende Schriftstücke gilt (vgl die oben unter 1. getätigten Ausführungen zur Entscheidung des EuGH vom 8. Mai 2008,  C‑14/07 [„Weiss und Partner“], Slg. 2008, I‑3367). Dadurch könnte eine sachgerechte Lösung gefunden werden, die einerseits das rechtliche Gehör der im Ausland befindlichen Partei wahrt, andererseits aber zumindest einen Teil der durch Auslandszustellungen verursachten Verzögerungen und Kosten vermeidet.

 
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