Nicht jede Sauerei ist auch strafbarvon Gerhard Jarosch
Das Image der Justiz ist angeschlagen, der Rechtsstaat steckt in einer Krise. Kaum ein Zeitungskommentar zu Justizthemen widersteht der Versuchung, diese negative Spirale noch ein wenig weiter zu drehen. Und so mancher Politiker nützt die Stimmung für billige Schlagzeilen. Charlotte Schillhammer beschrieb diesen „Reigen der Tanzpartner“ ausführlich im Editorial vom November 2010. Einer der dafür entscheidenden Faktoren wird im öffentlichen Diskurs zwar mitunter im Allgemeinen, nicht aber im Zusammenhang mit der Strafjustiz angesprochen: Hat das politische System in diesem Land eine ausreichende Selbstreinigungskraft? In London legen regelmäßig Politiker, deren bloß private Eskapaden aufgedeckt wurden, ihre öffentlichen Ämter nieder. Fehlverhalten im Zusammenhang mit ihrer Amtsführung bedeutet geradezu zwangsläufig das Ende der Politkarriere. In Berlin trat ein Minister zurück, weil er die Öffentlichkeit nicht rechtzeitig und nicht vollständig über einen katastrophalen Kampfeinsatz informierte. In solchen Demokratien ist es kaum noch denkbar, dass ein Politiker privates Sponsoring (diesseits der strafbaren Geschenkannahme) genießt; in Österreich sind selbst die einschlägigen Strafbestimmungen - höflich ausgedrückt - ein wenig milde. Ein modernes Parteienfinanzierungsgesetz lässt auf sich warten. Massives Fehlverhalten eines Politikers führt hierzulande nach heftiger öffentlicher Kritik und parteipolitischem Hickhack zumeist zum Ruf nach der Justiz. Wir StaatsanwältInnen und RichterInnen sollen über den Umweg des Strafgesetzbuchs dafür sorgen, dass der oder die Kritisierte das Amt niederlegt. Nach einigen Anzeigen, Leitartikeln und Live-Diskussionen im Fernsehen ist schließlich jedem juristisch unbedarften Bürger klar, jetzt „geht er in den Häfn“! Kommen wir dann zu dem Schluss, dass die Vorwürfe vielleicht strafbar wären, aber die Beweise allenfalls für den Stammtisch, nicht aber für ein rechtsstaatliches Urteil ausreichen, was bleibt dann? Ein Versagen der Justiz. Dass in dubio pro reo auch für Politiker gilt, wird dabei vergessen. Dass Politiker in anderen Ländern schon Konsequenzen ziehen, wenn ihr Fehlverhalten nicht einmal annähernd strafbar ist, wird kaum noch bedacht. Nein, der/die Kritisierte bleibt im Amt, die erhobenen Vorwürfe verschwimmen zu einem fahlgrauen Fleck auf der supersauberen Weste, aber wir haben unsere Arbeit (wieder einmal) nicht getan. Die Kleinen hängt man, die Großen schützt man: Eine oberflächliche und juristisch wie intellektuell kleinformatige Diskussion will eben nur diese Vorurteile bedienen, sich aber nicht mühselig mit den Details auseinandersetzen. Es ist eben einfacher, Protokolle in einem Kabarett als Lachnummer zu verkaufen und wegen der Unfassbarkeit des dort Gesagten auf die Unfähigkeit der Justiz zu schließen. Für manche ist es zu schwierig, sich den Inhalt genauer anzusehen, Beweise abzuwägen und daraus (straf-)rechtliche Schlüsse zu ziehen. Da bestärkt man lieber den Stammtisch in allem, was er ohnedies immer schon wusste. Was mich fast noch mehr stört, als die wenigen wirklich Unanständigen, sind die vermeintlich Anständigen in Politik und Medienlandschaft, die nicht verstehen (wollen?), dass sie auf eine Säule hinhacken, die auch sie trägt. Gerechtfertigte Kritik an der Strafjustiz ist willkommen, unbedachtes, dummes oder gar bösartiges Gekreische bar jeder Vernunft schwächt den Rechtsstaat. Wir müssen uns noch mehr in den Diskurs einbringen und so manches aufklären. |