Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der GÖD haben zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Gerichtsorganisationsgesetz, die Jurisdiktionsnorm, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Gerichtsgebührengesetz und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden (BMJ-Pr350.00/0001-Pr/2012) folgende Stellungnahme abzugeben:
1) Zunächst wird heftig kritisiert, dass die geplanten gesetzlichen Maßnahmen ohne erkennbare Notwendigkeit übereilt in das „Sparpaket des Bundes“ eingeschleust werden sollen, ohne dass sie tatsächlich unter diesem Titel firmieren können. Daraus ergibt sich auch eine unvertretbar und unnotwendig kurze Begutachtungsfrist. 2) Artikel X1 (Änderung des GOG), Artikel X3 (Änderung des ASGG), Artikel X4 (Änderung des GGG) sind unproblematisch, dagegen gibt es keinen Einwand. 3) Artikel X2 (Änderung der Jurisdiktionsnorm) wird in dieser Form zum derzeitigen Zeitpunkt abgelehnt. Die überfallsartige Erhöhung der Streitwertzuständigkeit der Bezirksgerichte bis Euro 25.000,-- ist organisatorisch und personell derart kurzfristig nicht zu bewältigen. Die Standesvertretungen der Richter und Staatsanwälte haben in den Vorgesprächen mit dem BMJ die Streitwerterhöhung grundsätzlich begrüßt, allerdings war eine umfassende Vorbereitung dieser Maßnahme vereinbart. Insbesondere die Auswirkungen auf die Zeitwerte für die Zivilakten des BG und des LG (C und Cg) der Personalanforderungsrechnung, die personellen Auswirkungen (Personalverschiebungen im richterlichen und nichtrichterlichen Bereich zwischen OLG, LG und BG), die besoldungsrechtlichen Auswirkungen (durch Verschiebung von Arbeit von höher bezahlten Planstallen in R2 und R 1 b auf schlechter bezahlte Planstellen in R 1 a), die Auswirkungen auf die Gerichtsgröße der Bezirksgerichte (im Zusammenhang mit den aktuellen Schließungsplänen des BMJ) sind überhaupt nicht bekannt und werden in den Erläuterungen offensichtlich auch bewusst verschwiegen. Es liegt nicht einmal die Personalanforderungsrechnung 2011 vor, um beurteilen zu können, wie hoch der Belastungsunterschied zwischen LG und BG aktuell ist. 4) Artikel X5 (Änderung der Strafprozessordnung): a) zu § 192 Abs. 1a neu: Dieser Einstellungsgrund ist in höchstem Maße problematisch und wird abgelehnt. Diese Bestimmung könnte im Extremfall dazu führen, dass bei einem strafsatzbestimmenden schweren Vermögensdelikt (z.B. Strafrahmen ein bis zehn Jahre bei Vermögensschaden über Euro 50.000,--) ein schwerwiegendes Sexualdelikt mit einer geringeren Strafdrohung aus Opportunitätsgründen nicht weiter verfolgt wird. b) zu § 198 Abs. 3 neu: Diese, mit den „Sparpaket“ ebenfalls in keinem direkten Zusammenhang stehende Maßnahme, wurde ebenfalls ohne jedwede Diskussion in der Fachöffentlichkeit, kurzfristig eingeschleust. Sie ist offenbar ein weiterer Teil des Konzeptes, Endentscheidungen über Schuld und Unschuld von den unabhängigen Gerichten zur weisungsgebundenen (und damit dem politischen Einfluss des Justizministers unterstehenden) Staatsanwaltschaft zu verschieben. Diese Vorgangsweise verwundert umso mehr, als das Justizministerium damit seinen eigenen Bestrebungen im Rahmen der „Vertrauensoffensive Justiz“ diametral entgegen arbeitet. Durch die vorgeschlagene Öffnung der Diversion nur für ausgewählte Schöffendelikte wird der Eindruck erweckt, dass Beschuldigte schwerer Wirtschafts- und Korruptionsdelikte privilegiert werden sollen. Damit würde genau jener Eindruck verstärkt, der in der Studie der Bundesministerin neben dem fehlenden Tempo der Justiz an zweiter Stelle der Kritik genannt wurde: der Eindruck, dass es sich manche richten können. Besonders problematisch ist dabei die den bisherigen Diversionsbestimmungen („hinreichend geklärter Sachverhalt“ - § 198 Abs. 1 StPO i.d.g.F) entgegenstehende Bestimmung, dass diese Form der Diversion auch möglich sein soll, wenn der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist. Wie unter diesen Voraussetzungen von der Staatsanwaltschaft abgeklärt werden soll, wie hoch ein im Falle der Verurteilung auszusprechender Verfall oder erweiterter Verfall zu beziffern ist, bleibt unerfindlich. Ebenso kann die Überprüfung, ob der Schaden gutgemacht wurde bei nicht hinreichend geklärtem Sachverhalt nicht beurteilt werden. Auch die nicht variable Höhe von 360 Tagessätzen widerspricht dem bisher in der Strafprozessordnung geltenden System. Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der GÖD ersuchen dringendst darum, im Rahmen der parlamentarischen Behandlung alles zu unternehmen, um eine Gesetzwerdung der angesprochenen Bestimmungen in der JN und StPO zu verhindern. Mag. Werner Zinkl, Dr. Klaus Schröder |