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Familienrichtertag 2006 PDF Drucken E-Mail
„Verstehen Sie mich? –
FamilienrichterInnen im multikulturellen Spannungsfeld“

Zu diesem Thema fand am 22. und 23. Juni 2007 in Salzburg der 19. Familienrichtertag unter Beteiligung zahlreicher FamilienrichterInnen, RichterInnen des BMJ, DolmetscherInnen und einiger RiAAs statt.

Dass diese Veranstaltung eine durch und durch internationale – passend zum sportlichen Großereignis Fußball-WM - sein wird, blieb den Teilnehmern nicht lange verborgen: Vorausgesetzt, dass  Mimik und Gestik zumindest bedeutungsähnlich mit jener unseres Kulturkreises sind, deuteten wir die an uns gerichteten Worte in Suaheli, Kurdisch und Ibo als Begrüßung.

Den Kern der Veranstaltung bildeten Vorträge von Dr. Azem Olcay (Projektmanager Interkulturelles Zentrum Wien) und Univ. Ass. Dr. Chibueze Udeani (Universität Salzburg), die zum Thema „Ehre, Ansehen und Respekt – soziokultureller Hintergrund von MigrantInnen in Österreich am Beispiel der Türkei und Nigerias“ referierten, sowie anschließende Arbeitskreise zum Thema „AusländerInnen vor Gericht“. Einen Rahmen zu diesen Schwerpunkten stellten die einführenden Worte des Vorsitzenden der Fachgruppe Außerstreit- und Familienrecht Mag. Franz Mauthner, die Präsentation der Diskussionsschwerpunkte des Rechtsmitteltreffens durch Mag. Katharina Lehmayer, sowie Vorträge von Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner und von Dipl. Dolm. Christine Springer dar.

Dr. Olcay verschafft den Teilnehmern einen Überblick über jenes Land, mit dessen immigrierter Bevölkerung wohl jeder bei Gericht Tätige schon einmal Kontakt hatte. Wie also ist der Türke, der uns allen als Partei oder Zeuge begegnet ist und begegnen wird? Zunächst das Selbstverständliche: Nicht verallgemeinerbar. Die Türkei hat etwa 75 Millionen Einwohner, 7 Regionen, 3 Meere, 60 Sprachen ohne Dialekte – allein in der türkischen Community in Wien zählt man 38 Sprachen. Ein Drittel der Türken sind Aleviten, eine Glaubensrichtung innerhalb des Islams, deren Gläubige liberaler als die Sunniten sind (sie lehnen etwa die Scharia, das islamische Gesetz, ab). 90 % der Türken, die in Österreich leben, stammen aus Anatolien. Wie nicht anders als in Österreich halten sich in ländlichen Räumen der Türkei Traditionen länger als in den Städten. Die Werte, die Dr. Olcay in der Folge erörtert, beziehen sich also auf den traditionellen Teil der Türkei fernab des modernen Istanbuls: Es sind dies Respekt (Saygi), Ehre (Namus) und Ansehen (Seref). Respekt spielt sich dabei im Kreis der Familie ab, Ansehen bezeichnet die Stellung der Familie zur Außenwelt; an der Schwelle steht die Ehre, der durch diese vermittelnde Rolle zwischen Familienleben und Gesellschaft eine zentrale Bedeutung zukommt.
Vor allem die Rolle der Frau interessiert - konkret auf den Gerichtsalltag bezogen: Akzeptiert ein türkischer Mann eine - womöglich noch dazu jüngere -  Richterin als Autorität? Dr. Olcay bejaht diese Frage. Er erläutert, dass es in Anatolien als respektlos gilt, wenn man sich direkt in die Augen schaut. Der meidende Blick einer Partei sei daher kein Ausdruck von Respektlosigkeit, sondern vielmehr oft von Unsicherheit.
Der Mann ist darüber hinaus seit kurzem gesetzlich nicht mehr als Familienoberhaupt verankert. Seit kurzem erst?! Nach Gesprächen in meinem Arbeitskreis erfahre ich, dass auch in Österreich das patriarchalische Ehemodell, in dem der Mann als Familienoberhaupt galt, erst 1975 sukzessive durch das partnerschaftliche ersetzt wurde. Ausfluss des patriarchalischen Familienrechtssystem war etwa das Wohnsitzfolgerecht, wonach der Mann den Wohnsitz der Familie bestimmen konnte.
Interessant noch: bei den traditionellen Familien ist in oberster weiblicher Position die Schwiegermutter (dann die Tochter und dann die Schwiegertochter). Auch diesbezüglich hat man hierzulande schon Ähnliches vernommen …
Es sei auch nicht so, dass in Wien lebende Türken ihren Frauen verbieten würden, Sprachkurse zu besuchen, vielmehr sei es oft die Angst der Frauen, ihren Analphabetismus zuzugeben.
Im türkischen Arbeitskreis hingegen fällt das Ergebnis kritischer aus: Hier wird doch ein zumindest schwieriger Umgang mit weiblichen Autoritäten geortet.

Dr. Udeani aus Nigeria regt zu Beginn seines äußerst spannenden Vortrags mit der Frage, ob wir Urheber oder Produkte unserer Kultur sind, zum Nachdenken an. Er schildert eindringlich wie er schon beinahe aufgeben wollte, da er glaubte, die deutsche Sprache niemals erlernen zu können.
In Nigeria leben 160 Millionen Menschen, jeder fünfte Afrikaner ist Nigerianer, es gibt 250 Sprachen. Der Süden Nigerias ist christlich, der Norden islamisch – 99 % der Nigerianer, die in Österreich leben, stammen aus dem christlichen Süden. Das Land ist seit 1960 von Großbritannien unabhängig und hat 36 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Nigeria ist aufgrund seiner reichen Erdölvorkommnisse kein armes Land – der Reichtum ist nur schlecht verteilt. Dr. Udeani erklärt das „Wir-Gefühl“ der Nigerianer, die Flexibilität der Begriffe  „Brother“ und „Sister“ (je weiter man von seinem Dorf weg ist, desto weiter reicht auch dieser Begriff).
In Nigeria gibt es die Frage „Wer bist Du?“ nicht, stattdessen wird gefragt „Wessen Sohn und Tochter bist du?“ Die höfliche Antwort reicht einige Generationen zurück.... Fragen werden also oft nicht kurz und bündig beantwortet – wenn man als Richter daher auf Entscheidungsfragen ausschweifende Antworten erhält, sollte dies nicht zwangsläufig als Ausrede und Unwahrheit gedeutet werden.

Lektor Chihungi Bunduki von der Universität Salzburg, ursprünglich aus Kenia, erzählt von seinem Stamm, den Sambaa, bei welchen Matriarchat herrscht. Leider bleibt mir zu wenig Zeit, um mich nach den genauen Auswirkungen dieser interessant klingenden Gesellschaftsform zu erkundigen! Er formuliert es ganz allgemein so, dass die Mutter die Chefin ist und die Familie ihren Namen trägt. In Kenia üben Frauen unabhängig vom Stamm den Beruf der Richterin aus.

Auch der chinesische Arbeitskreis unter Leitung des Dolmetschers Dr. Guoqing Feng erweist sich als äußerst interessant: In Österreich leben etwa 30.000 bis 50.000 Chinesen. 70 bis 80 % dieser Österreich-Chinesen arbeiteten in China als Reisbauern, 40 bis 50 % dieses Prozentsatzes in armen Regionen. Viele der Chinesen in Österreich sind in Chinarestaurants tätig; je nachdem ob sie Küchenpersonal oder Kellner sind, können sie wenig bis gut Deutsch.
Chinesen treten im Bereich des Strafrechts vor allem durch Schlepperei und das Raubkopieren von DVDs in Erscheinung; gelegentlich geraten sie auch mit dem Lebensmittelgesetz in Konflikt. Im Bereich des Familienrechts beanspruchen chinesische Einwanderer das Gericht in den klassischen Bereichen Scheidung und Adoption.
Frauen sind  in China relativ gleichgestellt, sie üben alle Berufe aus, auch jenen der Richterin (diese Emanzipation der Frau geht auf Mao zurück). Absolut unüblich ist es, dass in China die Frau kocht – das ist reine Männersache.
Obwohl es der gesamte Arbeitskreis nicht so recht glauben will, ist die Mimik und Gestik der Chinesen laut Dr. Guoqing Feng von unserer nicht verschieden, und es gibt wenig in Österreich übliche Gesten, die einen Chinesen verstören können – nach längerem Überlegen fällt Dr. Feng das laute Schnäuzen ein.

Was bleibt von diesen zwei spannenden Tagen? Es ist sicher hilfreich, gewisse Eigenheiten und Gebräuche einer Volksgruppe als Richter einerseits im Sinne der Wahrheitsfindung und andererseits im Sinne des höflichen Umgangs zu kennen und zu beachten. Seminare mit multikulturellem Bezug wie der Familienrichtertag 2006 sind ein wesentlicher Beitrag dafür, um sowohl mit (versteckten) Vorurteilen aufzuräumen, als auch sein Wissen über andere Kulturen zu erweitern, woraus jedenfalls auch mittelbar im Gerichtssaal ein Nutzen gezogen werden kann.
Und: So verschieden sind wir auch wieder nicht, und wenn doch, dann wird es dadurch nur spannender ….

 
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