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Grundrechtstag 2007 - Bericht PDF Drucken E-Mail
Bericht über das internationale Symposium "Goodbye Privacy - Grundrechte in der digitalen Welt" am 05./06.09.2007 in Linz

Am 05./06.09.2007 veranstaltete die Fachgruppe Grundrechte und interdisziplinärer Austausch  ihren ersten Grundrechtstag gemeinsam mit und im Rahmen der Ars Electronica 2007 zum Generalthema "Goodbye Privacy".
Die Auseinandersetzung mit den "Grundrechten in der digitalen Welt" erfordert einen interdisziplinären Ansatz. Zum einen fehlt den meisten Juristinnen und Juristen das Wissen über den technischen Standard sowie über das soziale und kommunikative Verhalten im Netz. Zum anderen ist "Privatheit" kein feststehender Begriff. Angesprochen waren beim Grundrechtstag vor allem das Grundrecht auf Achtung der Privatsphäre (Art 8 EMRK), das Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 DSG) und das Grundrecht auf Information (Art 10 EMRK).


Barbara Helige
Barbara Helige


Barbara Helige, Präsidentin der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter, und Gerfried Stocker, Direktor und künstlerischer Leiter der Ars Electronica, eröffneten gemeinsam das Symposium.


Gerfried Stocker
Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter der Ars Electronica.


Es folgten die drei Hauptvorträge internationaler Experten - Viktor Mayer-Schönberger, Joichi Ito, Wolf-Dietrich Grussmann - die Entwicklungstendenzen im Bereich der digitalen Medien darstellten.

 

Viktor Mayer-Schoenberger
Vortrag von Viktor Mayer-Schönberger


Viktor Mayer-Schönberger (John F. Kennedy School of Government, Harvard University) stellte unter dem Titel "Nützliches Vergessen" in einem spannenden Vortrag die Schwierigkeit dar, dass Daten einer Person nicht in Vergessenheit geraten. ("Google vergisst nicht".) So würden im Laufe eines Lebens sämtliche - auch längst als unwichtig oder irrelevant erkannte - Informationen über eine Person gespeichert und nichts wieder gelöscht.  Bisherige Regelungen könnten keinen effektiven Schutz bieten. Er schlägt vor - was technisch möglich sei - eine Art "Ablaufdatum für Daten" einzuführen.

Joichi Ito
Joichi Ito


Joichi Ito (Entrepreneur, Vorsitzender von Creative Commons, ICANN, Boardmember von WITTNESS, Japan) vermittelte in seinem einstündigen lebendigen Vortrag (unterstützt mit Videobeispielen) einen Einblick in das soziale und kommunikative Verhalten im Netz vor allem jener Generation, die bereits mit dem Internet aufwuchs, und von deren Vorstellung von Privatheit.  Da diese Generation offenbar einen völlig anderen Begriff der "Privatheit" lebe (zum Beispiel werden freiwillig private Informationen ins Netz gestellt beziehungsweise innerhalb eines Freundeskreises durch ständige telefonische Erreichbarkeit lückenlose Bewegungsmuster erstellt), müsse man die Definition dieses Begriffs neu überdenken.


Grussmann
Wolf Dietrich Grussmann

  
Wolf-Dietrich Grussmann (EU-Kommission, Generaldirektion Informationsgesellschaft, Brüssel) stellte in einem überaus komplexen Vortrag eine Vielzahl von Institutionen und Initiativen der EU dar, die Fragen der Netzwerksicherheit und des Datenschutzes behandeln. Ebenso interessant waren der Hinweis auf die Judikatur des EuGH, wonach die Datenschutzrichtlinie im Einklang mit Art 8 EMRK (Achtung der Privatsphäre) auszulegen ist. Weiters berichtete er über anhängige Verfahren am EuGH, in denen die Generalanwälte in ihren Vorträgen zum einen Art 8 EMRK stärkeres Gewicht gegenüber der Preisgabe von Daten zur Durchsetzung von Urheberrechten zumaßen und zum anderen bereits die Speicherung von Daten auf Vorrat ohne Verdacht problematisiert.


Lentos



Die vier Workshops am Nachmittag des 05.09.2007 waren jeweils mit zumindest drei Referent/inn/en besetzt, die die Themen mit ihren Impulsreferaten aufarbeiteten und zur Diskussion überführten. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wurden im Plenum mit Hilfe von Powerpoint präsentiert.



Workshop Videoueberwachung
Workshop "Videoüberwachung"

Die Workshops befassten sich mit den Themen:

Videoüberwachung (Leitung: Ewald Wiederin, Universität Salzburg)
Gesellschaftliche Risiken von öffentlichen Registern (Leitung: Michael Nentwich, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Wien)
Speicherung von Daten auf Vorrat (Leitung: Susanne Reindl-Krauskopf, Universität Wien)
Recht auf Information (Leitung: Dragana Damjanovic, Wirtschaftsuniversität Wien) 

Frau Bundesministerin Maria Berger gab uns am Abend die Ehre, am gemeinsamen Empfang von Stadt Linz und Land Oberösterreich teilzunehmen. Ihr Statement über die politische Zielrichtung ihres Ressorts verlieh der Veranstaltung einen nachdrücklich erhöhten Stellenwert.

Maria Berger
Maria Berger


Der zweite Tag, 06.09.2007, brachte weitere Annäherungen zum Thema "Privatheit" aus anderen Blickwinkeln. Beate Rössler(Professorin für Philosophie, Universität Amsterdam) und Helen Nissenbaum (New York School of Law) definierten das "Private" und umschrieben den notwendigen Schutzbereich. Beate Rössler unterscheidet zwischen den dezisionalen Räumen (Freiheit der Entscheidung), der lokalen Privatheit und der informationellen Freiheit. (Was wissen andere Leute über mich ?).
Der Künstler Jorden Crandall thematisierte die Kultur der Selbstdarstellung.
Erich Möchel (FutureZone ORF) zeigt die Bedeutung der Verkehrsdaten auf, die nach der Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie in Hinkunft für jede Telefon- und Internetnutzung zumindest sechs Monate lang gespeichert werden müssen. Damit sei bekannt, wer mit wem wann wo telefoniert oder per Internet in Verbindung steht. Daraus könne binnen weniger Sekunden ein exaktes Profil einer Person erstellt werden. Erich Möchel zeigte auch Fälle missbräuchlicher Weitergabe dieser Verkehrsdaten und missbräuchlicher Überwachung auf.
Danny O`Brien (Journalist, Koordinator der Electric Frontier Foundation
[EFF], GB) und Rikke Frank Jorgensen (Vorstandsmitglied der European
Digital Rights Initiative [EDRI] beschrieben die vielfältigen Aktivitäten
dieser grenzüberschreitenden Organisationen.
Aus Gründen der Aktualität wurde bei der Diskussion am Ende des Vormittags neuerlich die Vorratsdatenspeicherung thematisiert. Als Vertreter des Justizressorts nahm Christian Pilnacek teil, weitere Diskutanten waren Erich Möchel und der Internetspezialist und Richter des Landesgerichtes Salzburg Franz Schmidbauer. Letzterer hob hervor, dass die gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung einen völligen Wechsel im Umgang mit den Grundrechten bedeute. Bisher sei es undenkbar gewesen, ohne konkreten Tatverdacht mit derartigen Maßnahmen in die Privatsphäre einzugreifen.
Die drei Diskutanten stimmten überein, dass es bei der Verabschiedung der Richtlinie durch die EU nicht gelungen sei, eine breite Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung in Österreich zu führen.


Mittagsempfang
Mittagsempfang


Am Nachmittag präsentierte die Künstlerin Manu Luksch (London/Wien) Ausschnitte ihres Films "Faceless", den sie aus Aufnahmen von öffentlich und privaten Videoüberwachungskameras zusammengestellte. Diese zeigen die Künstlerin, während die Gesichter der übrigen Personen geschwärzt sind (eben faceless). Zu diesen Aufnahmen gelangte Manu Luksch, nachdem in Großbritannien ein entsprechendes Gesetz die Betreiber von Videoüberwachungen verpflichtete, aufgenommenen Personen Auskunft über Aufnahmen von ihnen zu geben und Kopien von den Aufnahmen gegen Zahlung von 10 Pfund auszufolgen.
Ralf Bendrath (Politikwissenschafter, Universität Bremen) stellteverschiedene Internetplattformen, wie zB Spock.com, XING.com, YouTube.com, MySpace.com oder StudiVZ.org, dar.
Der Medienforscher Volker Grassmuck (Berlin) thematisierte die Frage des Urheberrechts statt Datenschutz und die technischen Bedingungen dazu.
Der zweite Tag endete mit einer kurzen Schlussdikussion.

Die Ergebnisse vom 05.09.2007 werden in einem Tagungsband veröffentlicht, der Anfang 2008 im Linde Verlag erscheinen wird. Die Österreichische Liga für Menschenrechte stellte aus Anlass des Symposions das Heft 2/2007 ihrer Zeitschrift "Liga" unter das Schwerpunktthema "Überwachung" und legte es bei der Tagung auf.

Downloads zur Veranstaltung

zur Fachgruppe

 
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