Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der GÖD haben zu einem Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Strafvollzugsgesetz, die Strafprozessordnung 1975 und das Bewährungshilfegesetz geändert werden (BMJ-L641.008/0001-II 1/2010) folgende Stellungnahme abgegeben:
Allgemeine Erwägungen: Trotz des hohen Kostendeckungsgrades der Justiz wurde auch dieses Ressort von der Regierung auf wirtschaftliche Krisenszenarien verwiesen. Da der Justiz mehrere hundert Planstellen fehlen, die zu finanzieren sein werden, besteht nur für absolut unvermeidbare zusätzliche Aufgaben und Aufwände Umsetzungsbedarf. Das vorliegende Vorhaben fällt nicht unter diese Kategorie. Dazu kommt, dass offenbar nicht nur auf Grund der im Vorblatt erwähnten Schwierigkeiten der Ermittlung der finanziellen Auswirkungen, einmal mehr zwar ein Mehraufwand beim erstinstanzlichen Gericht, beim Rechtmittelgericht und bei der Bewährungshilfe zu erwarten ist, ein solcher sicherlich nicht unwesentlich ist, aber dieser nicht einmal annäherungsweise ausgewiesen wird. Alternativen zum Vollzug von Freiheitsstrafen und der Untersuchungshaft sind grundsätzlich positiv einzuschätzen. Solche existieren allerdings bereits in mehrfacher Form: Von der Vermeidung oder Durchführung eines Strafverfahrens oder einer Verurteilung durch die Diversion bis zu Geldstrafen und bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen, verbunden mit begleitenden Maßnahmen und im Ermittlungsverfahren durch gelindere Mittel, die die Untersuchungshaft substituieren. Gegen den elektronisch überwachten Hausarrest als weitere haftvermeidende Maßnahme sprechen aus Sicht der Praxis vor allem zwei grundsätzliche Überlegungen: 1. Den mit dem elektronischen Hausarrest verbundenen Kosten, die in den Erläuterungen zum Entwurf mit 5,1 Mio Euro im Jahr der Einführung und (zumindest) 3,6 Mio Euro in den Folgejahren beziffert werden, stehen keine konkreten Einsparungen im Vollzugsbereich gegenüber. Die vorgeschlagene Regelung steht somit mit den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit nicht im Einklang und widerspricht vor allem der gegenwärtigen Budgetlage. 2. Der elektronisch überwachte Hausarrest wird als Alternative zur Untersuchungshaft voraussichtlich nur einen sehr beschränkten Anwendungsbereich haben, als Alternative zur Strafhaft birgt er die Gefahr eines „2-Klassen-Vollzugs“ in sich, dessen Akzeptanz in der Bevölkerung nicht zu erwarten ist und der auch das Strafziel einer wirksamen Prävention gefährdet. Ob das Ziel der Regelung, den hohen Belegsstand der Justizanstalten durch den elektronisch überwachten Hausarrest zu vermindern, erreicht werden kann, ist bei einem Ausländeranteil der Insassen von ca. 45 % ohnehin mehr als fraglich. Zu den einzelnen Bestimmungen: Zu Artikeln 1 Z 3 (§ 156b StVG) und Artikel 2 Z 4 (§ 266 StPO): Der Strafvollzug in Form des elektronisch überwachten Hausarrests setzt die Wohnversorgung des Strafgefangenen, seine Beschäftigung oder die Absolvierung einer Berufsausbildung, die Sicherung des Unterhalts und das Bestehen der Sozialversicherung voraus. Diese Voraussetzungen werden in der Regel nur bei Inländern vorliegen. Strafzeiten von bis zu 12 Monaten sollen substituiert werden können, wobei auf die voraussichtlich zu verbüßende Strafzeit abzustellen ist, wodurch auch die Möglichkeit der bedingten Entlassung berücksichtigt werden muss und der elektronisch überwachte Hausarrest daher in Fällen mittlerer bis schwerer Kriminalität Anwendung finden soll: Zum Beispiel bei der Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafen, bei bedingter Nachsicht eines Teiles von zwei Jahren oder bei der Verurteilung zu einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe. Als Zielgruppe kommen in dieser Konstellation (auch) Wirtschaftskriminelle in Betracht, die nicht selten in gehobenen Wohnverhältnissen leben, sodass sich der Strafcharakter des Hausarrests im Wesentlichen auf die Leistung eines angemessenen Beitrags zu den Kosten (§ 156b Abs 3 StVG) reduzieren wird. Um dem entgegen zu wirken, wird die Möglichkeit, im Strafurteil auszusprechen, dass eine Anhaltung im Hausarrest für einen bestimmten Zeitraum, längstens bis zur Verbüßung der Hälfte der Strafe, ausgeschlossen ist, häufig Anwendung finden. Dass damit nicht nur erstinstanzlich zusätzlicher, sonst nicht notwendiger Aufwand betreffend die Situation des Angeklagten und anderer Umstände ausgelöst wird, sondern auch zusätzlicher Aufwand der Rechtmittelgerichte zu erwarten ist, erscheint gerade in Zeiten von Budgetknappheit nicht verantwortbar. Zu Artikel 2 Z 1 (§ 173a StPO): Hausarrest als Untersuchungshaft besonderer Art soll dann in Betracht kommen, wenn sich der Beschuldigte in geordneten Lebensverhältnissen befindet und der Zweck der Untersuchungshaft nicht bereits durch gelindere Mittel (zum Beispiel den Weisungen, an einem bestimmten Ort zu wohnen und jeden Wechsel des Aufenthaltsortes anzuzeigen, oder die vorübergehende Abnahme von Identitäts-, Kraftfahrzeug- und sonstigen Berechtigungsdokumenten oder durch die Leistung einer vorläufigen Sicherheit) erreicht werden kann. Das Wesen der elektronischen Überwachung liegt darin, dass auf das Verlassen des Aufenthaltsortes erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung reagiert werden kann, weil erst der Alarm eine Nachschau durch Justizwachebeamte oder die Kriminalpolizei oder Fahndungsmaßnahmen auslöst. Der Hausarrest wird daher in jenen Fällen, in denen die Flucht des Beschuldigten sehr wahrscheinlich ist oder die Gefahr der Tatverwirklichung oder der neuerlichen Straffälligkeit nahe liegt, nicht in Betracht kommen. Bei organisierter Kriminalität scheidet der Hausarrest ebenso aus, wie dann, wenn die Gefahr der Verdunkelung (durch Beeinflussung von Zeugen oder durch die Beseitigung von Beweisergebnissen) allein oder unter anderem auch den Haftgrund bildet. Eine zusätzliche Einschränkung ergibt sich daraus, dass Fluchtgefahr als Haftgrund gar nicht anzunehmen ist, wenn sich der Beschuldigte in geordneten Lebensverhältnissen befindet und ihm eine Straftat angelastet wird, die mit maximal fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 173 Abs 3 StPO). Den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr in weniger dringender Ausprägung wird in der Praxis durch die Anwendung sonstiger gelinderer Mittel in hinreichender Weise begegnet. Für im Inland nicht ausreichend integrierte Ausländer sowie sozial nicht so abgesicherte Inländer, die zusammen den überwiegenden Teil der Population der Untersuchungshäftlinge darstellen, kommt der Hausarrest als Alternative zur Untersuchungshaft überhaupt nicht in Betracht, sodass von einer namhaften Reduktion der Zahl der Untersuchungshäftlinge nicht auszugehen ist. Zu Artikel 3 (Bewährungshilfegesetz): Auch hier wird auf den mit den zusätzlichen Aufgaben notwendigen Mehraufwand im Bereich der Bewährungshilfe hingewiesen. Inwieweit diese Ressourcen sichergestellt sind, ist dem Entwurf nicht entnehmbar.
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