Richter/innen allein am Gerichtvon Charlotte Schillhammer
Ein Akt liegt im Einlauffach. Die beklagte Gesellschaft hat ihren Sitz in Belgien. Der/die Sachverständige wird knapp vor einem Verhandlungstermin krank. Geladen sind mehrere Parteienvertreter/innen und Zeug/innen. Das Vorbringen in einem Akt ist äußerst reich an Fakten. Einem vorerst nicht ganz leicht eingrenzbaren Rechtsproblem steht eine nahezu unüberschaubare Zahl an vermutlich relevanten Belegstellen aus Rechtsprechung und Lehre gegenüber. Kein/e Rechtspraktikant/in in Sicht? Der/die Kanzleileiter/in ist mehr als ausgelastet? Macht nichts! Richter/in setzt sich im ersten Fall hin, quält sich durch europäische Zustellregelungen, füllt Zustellersuchen aus und veranlasst Übersetzungen. Im zweiten Fall klemmt sich Richter/in ans Telefon und hofft, alle gleich zu erreichen, um die notwendigen Verständigungen durchführen zu können. Der dritte Fall veranlasst Richter/in zur tabellarischen Aufbereitung. Schließlich wühlt sich Richter/in im vierten Fall durch große Mengen an Vorentscheidungen, Aufsätze und dergleichen und trifft eine erste Vorauswahl. Auch wenn sonst nichts mehr läuft, die Zeit läuft dabei jedenfalls. In den beiden zuletzt genannten Fällen vergehen in besonderen Konstellationen, die immer mehr zunehmen, schnell einmal viele Stunden bis mehrere Tage. Und? Ist das ein Problem? Ja, es ist ein Problem, und zwar nicht etwa deswegen, weil wir uns für all die aufgezählten Arbeiten zu gut sind, sondern weil uns der gesamte Komplex an organisatorischen und aufbereitenden Tätigkeiten Zeit und Kraft für unser eigentliches Kerngeschäft raubt. Dieses reicht von der eingrenzenden Erarbeitung zivil- und strafrechtlich relevanter Sachverhalte, der gezielten Vorbereitung auf Verhandlungen, der kompetenten und sachgerechten Lösung zahlreicher Rechtsprobleme in den diversen Einzelfällen bis hin zum präzisen und nachvollziehbaren schriftlichen Festhalten unserer Überlegungen dazu. Dafür brauchen wir – quer durch alle Instanzen und mit Blick auf die notwendige Qualität – vor allem möglichst viel ununterbrochene Zeit, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Zuhören, Zeit zur Bewertung bereits ausgewählter Vorentscheidungen und Stimmen aus der Lehre, schließlich aber auch Zeit zum Diskutieren und noch einiges mehr. Wenn wir zu wenig von dieser Zeit haben, sinkt zwangsläufig die Qualität. Und letztlich sinkt als Folge davon auch die Akzeptanz der Rechtsprechung, was in einem Rechtsstaat ein unhaltbarer Zustand ist und womit im Ergebnis niemandem gedient ist. Um vor allem den aktuellen Herausforderungen an die Rechtsprechung gerecht werden zu können, gehört das überholte Kanzleisystem durch ein alle Sparten und Instanzen umfassendes Assistenzsystem ersetzt, in dem unterstützende Leistungen erbracht werden, und zwar sowohl den organisatorischen Sekretariatsbereich, als auch den aufbereitenden fachlichen Bereich betreffend. Frau Bundesministerin Karl ist angetreten, das Image der Rechtsprechung verbessern zu wollen. Und auch wenn die Einführung eines Assistenzsystems nicht alle diesbezüglichen Probleme der Rechtsprechung lösen würde, ein notwendiger und unerlässlicher Schritt in die richtige Richtung wäre es dennoch. Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter hat die Frau Bundesministerin auf diesen Umstand bereits mehrfach hingewiesen, insbesondere auch darauf, dass die jüngst bei den Rechtspraktikant/innen erfolgten, noch von ihrer Vorgängerin veranlassten Einschnitte im gegeben Zusammenhang alles andere als dienlich sind und die Situation weiter verschärfen. |