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Editorial 10/2012 PDF Drucken E-Mail
Wahlverwandtschaft1 
von Markus Thoma

Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 wurde – nach jahrzehntelangem Ringen der Politik vor allem mit sich selbst – der verfassungsrechtliche Rahmen für den Vollausbau des Rechtschutzes im Bereich des öffentlichen Rechts geschaffen. In einem weiteren Schritt – genauer gesagt: in mindestens zwanzig (!) weiteren Schritten – gilt es nun, das auf Verfassungsebene Vorgezeichnete in den Ausführungsgesetzen des Bundes und der Länder auszugestalten, um die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz dienst- und organisationsrechtlich mit Leben zu erfüllen. Nur zur Erinnerung: Kern der Novelle ist die Schaffung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem „9+2-Modell“, d.h. für jedes Bundesland ein und für den Bund zwei Verwaltungsgerichte erster Instanz. Dies bedarf zur Umsetzung der Dienst- und Organisationsgesetze von neun Bundesländern und zumindest zweier Organisationsgesetze des Bundes, sofern die Bundesverwaltungsrichter ihre dienstrechtliche Heimat im RStDG finden.

Die ersten Entwürfe aus den Ländern liegen bereits vor und lassen Tendenzen und Intentionen der Politik erkennen, die auch die volle Aufmerksamkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit erfordern. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll eine kurze Auswahl der Knackpunkte - oder treffender gesagt: der verfassungsrechtlichen Bruchstellen – der Entwürfe einen Eindruck davon vermitteln, wohin die Entwicklung gehen könnte:

  • Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 10.3.1999, G 19/99 = VfSlg. 15.762/2000 die Notwendigkeit der Absicherung der Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit von der zu kontrollierenden Verwaltung betont. Auf den vorliegenden Reformschritt bezogen müsste dies die Unabhängigkeit der zukünftigen Verwaltungsgerichte insbesondere gegenüber jener Verwaltung, der sie zwar gerichtsorganisatorisch zugeordnet sind, die sie aber regelmäßig kontrollieren sollen, nach sich ziehen; davon ist in den Entwürfen aber keine Rede, vielmehr sehen sie zum Teil explizit die Möglichkeit von Justizverwaltung durch die (Ämter der) Landesregierungen vor – wer kontrolliert hier wen?
  • Ausbildung und Ernennungserfordernisse der Mitglieder der Verwaltungsgerichte werden länderweise verschieden geregelt; die beiden Verwaltungsgerichte des Bundes werden die Vielfalt noch anreichern. Wenn nicht schon unterschiedliche Zugangserfordernisse einem Wechsel zwischen den Verwaltungsgerichten, aber auch zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und der Gerichtsbarkeit öffentlichen Rechts nicht gerade förderlich sein werden, so werden letztlich unterschiedliche Gehaltsstrukturen und Pensionssysteme die alles entscheidende monetäre Trennlinie bilden. Das Zusammenwachsen der verschiedenen Gerichtsbarkeiten wird so eher zum Thema von Sonntagsreden oder standespolitischem Small Talk denn zum konkreten Anliegen der Politik.  
  • Für dienst- und disziplinarrechtliche Angelegenheiten der Richter werden zum Teil abseits der Verfassung Sondersenate mit einer starken Betonung des präsidialen Elements vorgesehen.
  • Zur Vertretung der Interessen der Mitglieder der Verwaltungsgerichte der Länder sollen die jeweiligen Personalvertretungen der Länder berufen sein; darin liegt ein klarer Paradigmenwechsel, nimmt doch § 1 Abs. 3 PVG für den Bereich des Bundes Richter und Richteramtsanwärter vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes aus und überlässt die Vertretung der Interessen der Gerichtsbarkeit den bestens eingeführten privaten Organisationen, die fern jeglicher parteipolitischer Zuordnung oder Fraktionierung allumfassend handeln.

Es wird nicht bloß die Zukunft weisen, ob sich das neue Element der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz – im Sinne einer Wahlverwandtschaft - der ordentlichen Gerichtsbarkeit als Teil der Judikative annähert und sich aus seiner angestammten Verbindung mit der Exekutive herauslösen, emanzipieren kann; vielmehr wird es an den betroffenen Richterinnen und Richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit wie in der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen, der Affinität, ja der Zugehörigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur dritten Gewalt Ausdruck zu verleihen.     
   
1 Chemie: Beschreibung der wechselseitigen Anziehung verschiedener Elemente, durch die eine bestehende Verbindung aufgelöst wird; u.a. titelgebend für den Roman „Die Wahlverwandtschaften“ von Goethe

 
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