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Editorial 11/2012 PDF Drucken E-Mail

Statistikfieber, Baustellen & Energiewende

von Charlotte Schillhammer

Kürzlich erhielt die richterliche Standesvertretung vom BMJ eine Einladung zur Präsentation eines Prototyps der Verfahrensdauerstatistik Pflegschaft1. Dabei handelt es sich um ein 114 (!) Seiten umfassendes Werk mit zahlreichen Tabellen bzw in eindrücklichen Farben gehaltenen Grafiken, die unterschiedliche Aspekte der Verfahrensdauer im pflegschaftsgerichtlichen Bereich anschaulich darstellen. In all das muss unglaublich viel Arbeitskraft und Energie geflossen sein!

Die Verfahrensdauerstatistik Pflegschaft folgt damit einem allgemeinen Trend, dem grassierenden Statistikfieber. Wer davon befallen ist, will alles und jedes mit ungeheurem Aufwand in Zahlen fassen und messen, abwägen und meistens auch gleich einer Reihung unterziehen. Angeblich schreien bereits Glücksökonomen nach einem Hedonometer2.

Ich möchte es gar nicht in Abrede stellen: Die vorliegende Statistik bietet durchaus interessante Einblicke. Zu mehr als einem wenig euphorischen „aha“ konnte ich mich beim Durchblättern allerdings meist dennoch nicht durchringen. Jedenfalls ändert das nichts an der sich schließlich aufdrängenden Frage: „Cui bono?“, oder wie die gelernte Wienerin sagen würde: „Za wos`n“?

Nun könnten wir uns mit einem Achselzucken abwenden und die Sache auf sich beruhen lassen, wenn es letztlich nicht doch überaus ärgerlich wäre, dass eine nicht unbedeutende Zahl größerer und kleinerer Baustellen darauf harrt, in Angriff genommen zu werden. Gerade im Hinblick auf die Aufgabe der Justiz, Rechtsfrieden herzustellen, wäre es lohnend, die Energie, die immer wieder an den Baustellen vorbeifließt, gezielt dorthin zu wenden.

Da wären einmal die großen „Klassiker“ wie etwa die teilweise Abhängigkeit der Justiz von der Verwaltung, die (partei-) politische Weisungsspitze der Anklagebehörde oder seit kurzem die Dienstrechte der neuen Verwaltungsgerichte mit ihren der richterlichen Unabhängigkeit nicht dienlichen Regelungen. Und dann wären da auch noch zahlreiche größere und kleinere Mängel, die zum Nachteil der Bürger/innen in Summe unendlich viel sinnlose Zeit kosten.

Was mir dabei so spontan in den Sinn kommt: verwirrende Deckblätter von im ERV eingebrachten Schriftsätzen, immer noch mühselige Kostenentscheidungen quer durch alle Instanzen oder etwa auch der Mangel an gut aufbereiteten Arbeitsbehelfen. Soll ein/e Firmenbuchrichter/in tatsächlich einen Tag für einen grenzüberschreitenden Verschmelzungsvorgang brauchen, weil die benötigten Gesetze mit ihren Verweisen, die bisweilen fast im Nirgendwo zu enden scheinen (SE-VO, SEG, AktG), keine zeitökonomische Zusammenschau erlauben? Vielleicht wäre auch eine andere Gesetzestechnik möglich? Die Aufzählung ließe sich noch eine Weile fortsetzen.

Nicht alles liegt im Argen bzw im alleinigen Verantwortungsbereich des BMJ. Im Sinn einer reibungslos funktionierenden Justiz wäre aber das Mitwirken an einer Energiewende hin zu noch mehr Nachhaltigkeit wünschenswert.

1 Es ist purer Zufall, dass die Verfahrensdauerstatistik Pflegschaft hier zum Handkuss kommt: Deren Verfasser/innen mögen mir verzeihen.
Schandl in „Die Presse“ vom 20.10.2012: Wie messe ich Glück

 
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