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Bericht von der Enquete Gerichtsdolmetschen PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Irene Kornauth und Oliver Scheiber  

Das Bundesministerium für Justiz und die Fachgruppe Grundrechte veranstalteten in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Verband der Gerichtsdolmetscher und dem Österreichischen Gebärdensprach-DolmetscherInnen-Verband am 2. 10. 2006 eine Tagung zum Thema Gerichtsdolmetschen.

An der Veranstaltung nahmen 150 RichterInnen, StaatsanwältInnen, DolmetscherInnen und ExpertInnen von Universitäten, Personen aus der Verwaltung, dem Strafvollzug, der EU-Kommission, Gehörlosenorganisation und von NGOs teil.
Programm...

 

Publikum

 

Ein besonderes Anliegen war es für Justizministerium und RichterInnenvereinigung, der Situation gehörloser Personen Beachtung zu schenken, die gesamte Veranstaltung wurde daher in die Gebärdensprache gedolmetscht.   

Nach einleitenden Worten des Kovorsitzenden der Fachgruppe Grundrechte Dr. Oliver Scheiber

Oliver Scheiber

und der Bundesministerin für Justiz Mag. Karin Gastinger

 

Karin Gastinger

 

hielt Prof.Dr. Erik Hertog von der Lessius Hoge School Antwerpen ein Referat in englischer Sprache, das simultan übersetzt wurde,

Erik Hertog

zum Thema:

Leinwand

Es folgten Kurzstatements der Podiumsgäste:

Bettina Maurer-Kober
Dr. Bettina Maurer-Kober
Mitglied des Bundesasylsenats

Erich Prunc
Univ.Prof. Dr. Erich Prunc
Inst. f. Translationswissenschaft
Univ. Graz
 

Ulrike Psenner
Dr. Ulrike Psenner
Präsidentin, LG f.
Strafsachen Wien

Christine Springer
Dipl.Dolm. Christine Springer
Präsidentin Öst. Verband
der Gerichtsdolmetscher

Ingrid Siess-Scherz
Dr. Ingrid Siess-Scherz
Bundeskanzleramt/Verfassungsdienst

Alexia Stuefer
Dr. Alexia Stuefer
Rechtsanwältin

Durch Zuwanderung einerseits und zunehmenden beruflichen und privaten Reiseverkehr andererseits sind an immer mehr Gerichtsverfahren Personen beteiligt, die der deutschen Amtssprache nicht oder nicht ausreichend kundig sind. Der Bedarf an qualifizierten DolmetscherInnen steigt daher laufend. Für einzelne Sprachen – vor allem afrikanische und asiatische Sprachen – fehlen den Gerichten DolmetscherInnen. Im österreichischen System der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten DolmetscherInnen (= Gerichtslisten von Personen, die eine Prüfung erfolgreich abgelegt haben) gibt es zwarmehr als 1400 eingetragene Personen für 49 Sprachen, aber bundesweit z.B. nur eine gerichtlich zertifizierte Dolmetscherin für Georgisch, gar keine gerichtlich zertifizierten DolmetscherInnen für afrikanische Sprachen.

Die EU arbeitet intensiv am Gerichtsdolmetschen; Daten wurden gesammelt, derzeit wird ein Vorschlag für einen Rechtsakt verhandelt, der sich auch mit dem Gerichtsdolmetschen beschäftigt (Rahmenbeschluss über die Verfahrensrechte des Beschuldigten im Strafverfahren).

Die Träger der EU-Initiativen waren in Wien: Prof. Erik Hertog hat auf EU-Ebene Daten gesammelt, Ländervergleiche durchgeführt und Vorschläge auf europäischer Ebene erstattet und leitet in Belgien mehrere Projekte zum Polizei- und Gerichtsdolmetschen. Carolin Morgan ist die für den Rahmenbeschluss über die Verfahrensrechte des Beschuldigten im Strafverfahren zuständige Sachbearbeiterin der EU-Kommission; sie lobte den interdisziplinären Ansatz und die Qualität der österreichischen Diskussion.

In der Enquete standen die Qualität und der Umfang der Dolmetschungen in Gerichtsverhandlungen und in Verwaltungsverfahren im Mittelpunkt. Es ging, wie die Fachgruppe Grundrechte betont, darum, fremdsprachigen Personen gleiche Rechte vor Gericht und Behörde und damit ein faires Verfahren im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention zu sichern. Dazu berichteten unter anderem ausländische Experten über europäische Entwicklungen. Auch die zuständige Beamtin der Europäischen Kommission nahm teil.

Einzelne Aspekte, wie etwa polizeiliche Vernehmungen, die Beteiligung gehörloser Personen oder die Situation fremdsprachiger Gefangener in den heimischen Haftanstalten, wurden in Arbeitskreisen diskutiert.

Am Nachmittag präsentierten die ModeratorInnen der Arbeitskreise die Ergebnisse.


Christian Pilnacek
Dr. Christian Pilnacek, Leitender Staatsanwalt, BMJ:
"Umfang der Dolmetschung in der Gerichtsverhandlung: Dolmetschen im Lichte des fairen Verfahrens
nach Art. 6 EMRK"
 

Manfred Herrnhofer
Mag. Manfred Herrnhofer, Vizepräsident
der Vereinigung
der österreichischen Richterinnen
und Richter
:
"Dolmetschen im Strafverfahren vor der Polizei"

Hagen Nordmeyer
Dr. Hagen Nordmeyer, Staatsanwalt, BMJ:
"Sprachen mit Mangel an Dolmetschern"



Alice Prutsch
Mag. Alice Prutsch, Richterin, BMJ:
"Gebärdensprachdolmetschen"
 

 Irene Köck
Dr. Irene Köck, Leitende Staatsanwältin, BMJ:
"Dolmetschen im Strafvollzug"

Ergebnisse der Enquete – Grundsätzliches:

Der Umfang der Dolmetschung in Österreich entspricht dem Standard, den die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) vorgibt; Sensibilisierung für Dolmetschfragen ist aber nötig, Verbesserungen sind möglich und nach Maßgabe der Ressourcen jedenfalls wünschenswert.

Forderungen:

  • Mehr Beachtung für bisher vernachlässigte Fragen: wo sitzt der Dolmetscher im Gerichtssaal?    Mehr schriftliche Übersetzung: zB für fremdsprachige Angeklagte sollte die Anklageschrift immer auch schriftlich übersetzt werden

  • Stärkung der Berufsethik des Dolmetschers: Äquidistanz zu Gericht und zu den Verfahrensbeteiligten

  • Rolle des Dolmetschers als Kulturmittler

  • Einsatz von Techniken, die eine umfangreichere Dolmetschung ermöglichen: Flüsterdolmetschen

Schwerpunkt Gebärdensprache - Ergebnisse:

Informationen:

  • Nationale Unterschiede der Gebärdensprache (es gibt in jedem Land eine eigene Gebärdensprache)

  • die Gebärdensprache ist die Muttersprache des Gehörlosen

  • die Bildungssituation der Gehörlosen ist schwierig (vor allem ältere Generation hatte keine bilinguale Ausbildungsmöglichkeit und damit wenig Zugang zur Bildung)

Ausbildungsmöglichkeiten:

  • Universitätsstudium der Gebärdensprache in Graz und Linz

  • Seminare des ÖGSDV (= Österreichischer GebärdensprachdolmetscherInnen-Verband)

  • seit 1998 Berufseignungsprüfungen durch den ÖGSDV in Zusammenarbeit mit der Universität Graz und dem Gehörlosenbund

Empfehlungen:

  •  Sitzordnung im Gerichtssaal ist besonders wichtig.

  •  Checkliste für RichterInnen

  •  Überprüfung der Qualitätsstandards der gerichtlich zertifizierten GebärdensprachdolmetscherInnen (nicht alle der bei Gericht zertifizierten DolmetscherInnen haben eine Berufseignungsprüfung abgelegt)    

Vorrangige Probleme des Gerichtsdolmetschens:

In manchen Sprachen gibt es keine oder zu wenige gerichtlich beeidete DolmetscherInnen, dies betrifft vor allem   afrikanische und asiatische Sprachen, derzeit ist Ausweichen auf Laiendolmetscher unvermeidlich, die aber nicht über ausreichende Dolmetschtechniken und Fachvokabular verfügen. DolmetscherInnen sollten auch „Kultursachverständige“ sein. Es sind daher zusätzliche Ausbildungsmodelle vonnöten, wie etwa eine gemeinsame Ausbildung für "seltene" Sprachen und eine Kurzausbildung in Dolmetschfertigkeiten, kulturellem und juristischem Verständnis für einen Pool von sprachkundigen Personen. Weitere Anliegen. ein EU-weites Verzeichnis von gerichtlich zertifizierten DolmetscherInnen und eine Vernetzung der mit der Problematik befassten Stellen.

Polizeidolmetschen:

Bei polizeilichen Vernehmungen im strafrechtlichen Vorverfahren kommen nur teilweise gerichtlich zertifizierte DolmetscherInnen zum Einsatz; vielfach dolmetschen andere Personen, deren Qualifikation nicht ausgewiesen ist.

Forderung: ausschließlicher Einsatz von allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetschern (allenfalls durch entsprechende Weisungen)

Strafvollzug:

Der Ausländeranteil in den Justizanstalten beträgt bundesweit 44%; derzeit werden Dolmetschungen überwiegend von Mithäftlingen und Bediensteten geleistet.

Forderung: mehr Budgetmittel, damit auch in den Justizanstalten gerichtlich zertifizierte DolmetscherInnen eingesetzt werden können; dringend nötig, um den fremdsprachigen InsassInnen eine faire Chance für Antragstellungen (zB bedingte Entlassung) und bei Beschwerden, medizinischer Versorgung, etc einzuräumen.


Nach der Präsentation der Ergebnisse aus den Arbeitskreisen wurde abschließend mit neu zusammengesetztem Podium und dem Publikum diskutiert.

Podium rechts
Dr. Maria Wais, Leitende Staatsanwältin, BMJ, Univ.Prof. Dr. Erich Prunc,
Prof.Dr. Erik Hertog, Dr. Constanze Kren, Leitende Staatsanwältin, BMJ

Podium Mitte
Univ.Prof. Dr. Gerhard Budin,
Leiter des Zentrums für Translationswissenschaft, Universität Wien, 
Dr. Oliver Scheiber, Dr. Maria Wais

Podium links
Dr. Christian Pilnacek, Carolin Morgan mit Flüsterdolmetscher,
Dipl.Dolm. Liese Katschinka, Mag. Manfred Herrnhofer

Die Medien wurden in einem Pressegespräch von den Inhalten der Enquete informiert.

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