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Gründungsveranstaltung - Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht (Referat Christine Stix-Hackl) PDF Drucken E-Mail

Referat, gehalten bei der Gründungsveranstaltung der Fachgruppe Grundrechte und interdisziplinärer Austausch; erschienen in der RZ 6/06.

von Dr. Christine Stix-Hackl

Einleitende Bemerkungen

Die bedeutende Rolle, die dem Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht heute zukommt, ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass im EG-Vertrag bis auf einige Ausnahmen wie das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder das Recht auf gleiches Entgelt für Männer und Frauen keine Grundrechte ausdrücklich niedergelegt sind. Der gemeinschaftliche Grundrechtsacquis ist bis dato – jedenfalls so lange die im Jahre 2000 proklamierte Charta der Grundrechte nicht formell in Kraft getreten ist, die derzeit – neutral ausgedrückt – das Schicksal des Entwurfs für eine Europäische Verfassung teilt –, praktisch ausschließlich eine richterrechtliche Schöpfung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH). Dieser stellte erstmals im Jahre 1969 im Urteil Stauder1 fest, dass die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze zum Bestand des Gemeinschaftsrechts gehören, zu dessen Wahrung der Gerichtshof gemäß Artikel 220 EG-Vertrag bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages berufen ist. Diese Entwicklung – welche mehr als zehn Jahre nach Inkrafttreten des EWG-Vertrages einsetzte – erfolgte weder ohne Anlass noch sozusagen im „luftleeren Raum“.

Wenngleich das europäische Integrationsprojekt nicht als Staat, sondern als supranationale Organisation mit zunächst (eher) wirtschaftsbezogenem Grundinstrumentarium konzipiert ist, wurde mit zunehmender Integration immer deutlicher, in welchem Umfang die Gemeinschaft im Rahmen ihrer Zuständigkeiten – wie die staatliche Gewalt – bis in Rechtspositionen Einzelner eingreift und dass insofern gegenüber der Gemeinschaft genauso ein grundrechtlicher Schutzbedarf besteht wie gegenüber Staaten, jeweils als Träger von Hoheitsgewalt. Die Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes kann so auch nicht unabhängig von der Entwicklung grundlegender gemeinschaftsrechtlicher Doktrinen wie der unmittelbaren Anwendbarkeit und dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts (sowie der damit verbundenen auch unmittelbaren grundrechtlichen Betroffenheit des Einzelnen von Rechtsakten der Gemeinschaften) gesehen werden2.

Die Verbürgung von Grundrechten ist ein elementarer Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit. Die gemeinschaftliche zur innerstaatlichen Parallele liegt daher bei Rechtsgemeinschaft zu Rechtsstaat.

Verhältnis zu nationalen Gerichten

Vor allem darf auch nicht übersehen werden, dass die Ausbildung eines gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes von einigen Verfassungsgerichtshöfen der Mitgliedstaaten – insbesondere Deutschlands und Italiens – ausdrücklich als Voraussetzung für die Akzeptanz des Gemeinschaftsrechts und dessen vorrangiger Anwendung formuliert wurde. So hat das deutsche Bundesverfassungsgericht noch in seinem Solange I-Urteil3 festgestellt, dass es gemeinschaftsrechtliche Regelungen auf ihre Übereinstimmung mit dem deutschen Grundgesetz überprüfen werde, so lange es der Gemeinschaftsrechtsordnung unter anderem an einem entsprechenden Grundrechtsschutz fehle. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH war dasselbe Gericht jedoch 1986 in seinem so genannten Solange II-Urteil4 in der Lage festzustellen, dass Gemeinschaftsrechtsakte keiner zusätzlichen grundgesetzlichen Prüfung mehr bedürfen, so lange die Rechtsprechung des Gerichtshofes weiterhin das mittlerweile erlangte Rechtsschutzniveau aufrecht erhält.5

Der EuGH konnte nun aber nicht im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes die – von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschiedenen – nationalen Grundrechtskataloge tel quel anwenden, weil dadurch, wie er im Urteil Internationale Handelsgesellschaft6 festgestellt hat, die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt würde. Vielmehr musste er eigene gemeinschaftsrechtliche Grundrechte sozusagen „erarbeiten“ und anwenden, die er inhaltlich rechtsvergleichend anhand des gemeinsamen Grundrechtsbestandes der Mitgliedstaaten ausgestaltete: also zunächst anhand der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie der völkerrechtlichen Verträge im Bereich der Grundrechte, an die die Mitgliedstaaten gebunden sind, insbesondere der EMRK.

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist am besten in jener Passage zusammengefasst, mit der der EuGH auch heute noch Grundrechtsprüfungen in der Regel einzuleiten pflegt: „Die Grundrechte gehören zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Dabei lässt sich der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu.“

Diese Rechtsprechung wurde im Wesentlichen durch Artikel F des Maastrichter Vertrages bzw. nun durch Artikel 6 Absatz 2 EU-Vertrag in das Primärrecht übernommen, gemäß dem die Union die Grundrechte achtet, wie sie sich aus der EMRK und aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Rechtsgrundsätze ergeben.

Verhältnis zu EMRK und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)7

In meinen Ausführungen klingt bereits die Gemengelage verschiedener Grundrechtsordnungen an, in die sich der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsschutz einfügt und die bisweilen auch – nicht ganz zu Unrecht – als „Grundrechtswirrwarr“ wahrgenommen wird.8

Tatsächlich ist es für den Rechtspraktiker, geschweige denn für den Laien, kein Leichtes, eine konkrete grundrechtliche Position im Dreieck aus national, gemeinschaftsrechtlich oder nach der EMRK gewährleisteten Grundrechten festzumachen. Komplexe Anwendungsprobleme können sich daher insbesondere für nationale Gerichte ergeben, aber auch der EuGH sowie der EGMR sind immer wieder zur Positionsbestimmung gegenüber den jeweiligen (zwei) anderen Grundrechtsschutzsystemen aufgerufen.

Zunächst einige Anmerkungen zum Verhältnis zwischen den beiden – geografisch nicht ganz zutreffend – europäischen Systemen des Grundrechtsschutzes bzw. zum Verhältnis von EMRK und Gemeinschaftsrecht9.

Bekanntermaßen ist die Gemeinschaft nicht selbst Vertragspartei der EMRK. Ein Beitritt stand zwar wiederholt auf der Tagesordnung, doch hat der EuGH selbst in seinem Gutachten 2/9410 festgestellt, dass ein Beitritt zum EMRK-System nur auf der Grundlage einer Änderung der Verträge möglich wäre. (Eine solche Rechtsgrundlage wäre übrigens im Verfassungsvertrag vorgesehen.) Fraglich scheint, ob die Meinung vertreten werden konnte, dass die Union sich über Artikel 6 EU-Vertrag unmittelbar an die EMRK, gegebenenfalls in ihrer Auslegung durch den EGMR, gebunden hat. Eine solche Bindung ist aber – auch nach wohl überwiegender Lehrmeinung – nicht festzustellen und dies bekräftigt auch die Rechtsprechung des EuGH, nach der der EMRK zwar besondere Bedeutung zugeschrieben wird, aber nach wie vor von „Hinweisen“ die Rede ist, von denen der EuGH sich leiten lässt. Artikel 6 EU-Vertrag legt somit keine unmittelbare Bindung der Union an die EMRK fest, bestätigt diese aber primärrechtlich als Rechtserkenntnisquelle, an der der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsschutz auszurichten ist.

Übrigens wurde dem EuGH die Frage, ob die EMRK als solche einen integralen Bestandteil des Gemeinschaftsrechts bilde, bekanntlich in der Rechtssache Kremzow11, auf die ich später nochmals zu sprechen komme, vom Obersten Gerichtshof vorgelegt. Der EuGH hat aber auch hier lediglich wieder auf die besondere Bedeutung der EMRK im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes hingewiesen.

Jedoch bezieht sich der EuGH in der Praxis bei Fällen, in denen Fragen des Grundrechtsschutzes releviert werden, nicht nur auf die Bestimmungen der EMRK, sondern zieht auch die Rechtsprechung des EGMR heran.12 Ein Beispiel dafür, wiederum mit Österreichbezug, ist das Urteil Familiapress13, in dem der EuGH die Gemeinschaftskonformität eines Vertriebsverbots für periodische Zeitschriften, die Preisrätsel oder Gewinnspiele enthalten, zu prüfen hatte und in dem er in der Folge die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem in Artikel 10 EMRK verankerten Recht auf Meinungsfreiheit unter Beachtung des Urteils des EGMR Lentia u. a./Österreich14 untersuchte15.

Für eine möglichst enge Ausrichtung an der Rechtsprechung des EGMR spricht indes nicht nur ein Interesse an einem einheitlichen (Mindest‑)Grundrechtsstandard auf europäischer Ebene, sondern auch der Umstand, dass – wenngleich der EGMR keine Zuständigkeit für Klagen gegen die Gemeinschaft als solche hat – doch die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft grundsätzlich weiterhin für die Einhaltung des Grundrechtsstandards auch im Rahmen des Gemeinschaftsrechts verantwortlich bleiben – und auch zur Verantwortung gezogen werden können.

Nachdem die (frühere) Kommission für Menschenrechte zunächst im Fall Melchers [M. & Co.]16 eine Klage gegen einen Mitgliedstaat, der lediglich ein Urteil des EuGH ausführte, für ratione materiae unzulässig erklärt hatte, sah vor allem das Urteil Matthews anders aus. In diesem Fall ging es darum, dass die Bewohner Gibraltars von den Wahlen zum Europäischen Parlament durch den Direktwahlakt 1976 (bei dem es sich um Primärrecht handelt) ausgeschlossen waren. Der EGMR betonte hier, dass Rechtsakte der EG als solche von ihm nicht überprüft werden können, weil die EG keine Vertragspartei der Konvention ist und die Konvention ihrerseits die Übertragung von Hoheitsgewalt an internationale Organisationen nicht ausschließt, so lange sichergestellt ist, dass der Schutz der Konvention weiterhin gewährleistet ist. Der EGMR stellte so klar, dass die Verantwortlichkeit einer Vertragspartei der Konvention auch nach einer solchen Übertragung von Hoheitsgewalt fortbesteht. Das Vereinigte Königreich sei für die Konsequenzen des EGV bzw. des Maastrichter Vertrages, den es freiwillig eingegangen ist, gemeinsam mit den übrigen Mitgliedstaaten verantwortlich und habe das Recht auf die Teilnahme an Wahlen gemäß Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK verletzt.

Nun ließ dieses Urteil aber einige Fragen hinsichtlich der Bedingungen offen, unter denen der EGMR Rechtsakte im Bereich des Gemeinschaftsrechts einer Kontrolle am Maßstab der EMRK unterwerfen würde, zumal dieser Fall einige Besonderheiten aufwies wie den Umstand, dass es sich um eine Regelung auf Primärrechtsebene handelte, die der EuGH nicht selbst auf ihre Übereinstimmung mit den Grundrechten prüfen konnte. Größere Klarheit brachte das im Juni 2005 erschienene Urteil im Fall Bosphorus gegen Irland17, in dem der EGMR angerufen wurde zu überprüfen, ob das Grundrecht auf Eigentum verletzt wurde und zwar durch die auf der Grundlage einer Verordnung des Rates zur Umsetzung der UN-Sanktionen erfolgte Beschlagnahmung eines Flugzeugs der Yugoslav Airlines in Irland. Er stellte hier – ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht in Solange II – fest, dass von der „Gleichwertigkeit“ des Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht auszugehen sei, mit der Folge, dass ein EU-Mitgliedstaat die EMRK grundsätzlich nicht verletzt, wenn er lediglich seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Dabei ist hervorzuheben, dass, wie der EGMR ausgeführt hat, „gleichwertig“ nicht als „identisch“ zu verstehen ist. Dies ist insofern von Bedeutung, als bekanntlich zwei Juristen grundsätzlich drei (abweichende) Rechtsauffassungen haben können und es, selbst bei bestem Willen seitens des EuGH, zu Auslegungen von in der EMRK gewährten Grundrechten kommen kann, die nicht „ident“ mit jenen Straßburgs sind. Solche Abweichungen hat es bekanntermaßen in der Vergangenheit auch bereits gegeben, etwa im Bereich des Schutzes des Hausrechts.18

Allerdings handelt es sich bei der Vermutung des gleichwertigen Grundrechtsschutzes durch den EuGH nach dem Urteil Bosphorus – streng genommen – um eine Vermutung, die im Einzelfall widerlegt werden könnte, und zwar dann, wenn der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsschutz nach EMRK-Maßstäben als „offensichtlich ungenügend“ zu bezeichnen wäre.19

Zum Gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz und seinem Umfang

Vor dem soeben skizzierten Hintergrund des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes wird deutlich, dass sich für den EuGH schon „aus Gründen der Sicht von außen“ die Notwendigkeit ergibt, nicht nur dem Gemeinschaftshandeln grundrechtliche Schranken anzulegen, sondern auch seinen Grundrechtsschutz inhaltlich möglichst genau an der Rechtsprechung des EGMR zu orientieren.20

Zum Umfang des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes durch den EuGH nun einige Präzisierungen:

Zunächst ist hervorzuheben, dass die Grundrechte, die der EuGH zu schützen hat, nur im Rahmen des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts „aktiviert“ werden. Anders als der EGMR ist der EuGH ja nicht generell zum Schutz vor Grund‑ und Menschenrechtsverletzungen in den Mitgliedstaaten berufen, sondern ausschließlich im Rahmen des Tätigkeitsbereiches der Gemeinschaft bzw. im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Die Berufung auf gemeinschaftsrechtlich geschützte Grundrechte setzt somit eine – davon verschiedene – hinreichende Verbindung zum Gemeinschaftsrecht voraus21. In Anwendungsbereich sind sowohl Gemeinschaftshandlungen bzw. -rechtsakte als auch Maßnahmen der Mitgliedstaaten erfasst22.

Eine hinreichende Verbindung zum Gemeinschaftsrecht ist gegeben, wenn ein Mitgliedstaat Gemeinschaftsrecht anwendet oder mit nationalem Recht Richtlinien umgesetzt werden. Am Maßstab des gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes sind also auch mitgliedstaatliche Maßnahmen und Regelungen, die gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, zu messen. Insbesondere können Mitgliedstaaten auch dann den Erfordernissen des gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes unterliegen, wenn sie sich auf Ausnahmen von den Grundfreiheiten berufen23.

a) Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts

Es ist aber nicht immer einfach festzustellen, wann eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt. Ein illustrativer Fall für die diesbezüglichen Grenzen der Grundrechtszuständigkeit des EuGH ist die bereits kurz erwähnte Rechtssache Kremzow24. Dort wurde bekanntlich versucht, die Verbindung zum Gemeinschaftsrecht mit dem Argument herzustellen, dass ein Freiheitsentzug die Ausübung des gemeinschaftlichen Rechts auf Freizügigkeit behindere. Der EuGH hat hier, wohl zutreffend, festgestellt, dass die rein hypothetische Ausübung dieses Rechts alleine keinen Bezug zum Gemeinschaftsrecht herstelle, der eng genug wäre, um eine Anwendung der Gemeinschaftsrechtsbestimmungen zu rechtfertigen.

Ein vergleichbarer Fall wurde dem EuGH vor kurzem von einem ungarischen Gericht vorgelegt:

In Ungarn wurde gemäß einer Bestimmung des ungarischen Strafgesetzbuches, die den Gebrauch totalitärer Symbole unter Strafe stellt, Herr Vajnai25, Vizepräsident der ungarischen Arbeiterpartei, dafür strafrechtlich verfolgt, dass er in der Öffentlichkeit bei einer in Budapest organisierten Kundgebung im Februar 2003 an seiner Kleidung einen fünfzackigen roten Stern aus Pappe mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern getragen haben soll. Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob diese Strafbestimmung mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung bzw. mit verschiedenen Grundrechten wie der Gedanken‑ und Meinungsfreiheit vereinbar ist. In Anlehnung an die Rechtssache Kremzow hat sich der EuGH auch hier als für die Beantwortung dieser Frage offensichtlich unzuständig erklärt, weil der Anlassfall keinen Bezug zu einer der von den Bestimmungen der Gemeinschaftsverträge in Betracht gezogenen Situationen aufweist und die im Ausgangsverfahren angewandte ungarische Regelung nicht in den Bereich des Gemeinschaftsrechts falle.

Allerdings ist es durchaus möglich, sich einen Ausgangssachverhalt vorzustellen, durch den auch eine Regelung wie die ungarische Strafbestimmung an den gemeinschaftlichen Grundrechten zu messen gewesen wäre. Beispielsweise hätte eine von den „Verträgen in Betracht gezogene Situation“ durchaus vorliegen können, wenn es um T-Shirts mit Sowjetstern-Aufdruck gegangen wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat hergestellt und in Ungarn vertrieben werden.

An dieser Stelle wäre auch noch die Vorabentscheidung Rechnungshof gegen ORF u. a.26 anzuführen, in der der EuGH vom Verfassungsgerichtshof und vom Obersten Gerichtshof mit Fragen über die Vereinbarkeit der im Bezügebegrenzungs-BVG vorgesehenen Verpflichtungen bezüglich der Offenlegung von Jahreseinkommen mit der EU-Datenschutzrichtlinie befasst wurde. Diese Fragen stellten sich insbesondere auch im Hinblick auf eine Vereinbarkeit mit dem Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Artikel 8 Absatz 1 EMRK. Der Generalanwalt in dieser Rechtssache kam – zusammengefasst – zum Ergebnis, dass die fraglichen Erhebungstätigkeiten des Rechnungshofes nicht von der Datenschutzrichtlinie erfasst seien27, und daher nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen würden. Der EuGH sei daher für die Prüfung der Vereinbarkeit des Bezügebegrenzungs-BVG mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts wie der Achtung des Privatlebens nicht zuständig.

Der EuGH hingegen bejahte die Anwendbarkeit der Datenschutzrichtlinie auf die Erhebungstätigkeiten, um die es im Ausgangsverfahren ging. Er stellte dazu insbesondere fest, dass diese Richtlinie ganz grundsätzlich Regelungen zum Schutz der betreffenden Daten aufstelle und ihre Anwendbarkeit nicht davon abhängen könne, ob in den Sachverhalten, die den Ausgangsverfahren zugrunde liegen, ein hinreichender Zusammenhang mit der Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten – etwa der Arbeitnehmerfreizügigkeit – bestand. Da somit die Datenschutzrichtlinie auf Datenverarbeitungsvorgänge wie die, um die es hier ging, anwendbar war und die fragliche österreichische Regelung daher in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fiel, konnte der EuGH eine Prüfung im Lichte des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens gemäß Artikel 8 EMRK vornehmen. Dieses Urteil ist im Übrigen ein besonders schönes Beispiel für eine detaillierte Anwendung der Rechtsprechung des EGMR seitens des EuGH.

b) Grundrechte und Grundfreiheiten

Es ist nun auch auf einige Fälle einzugehen, bei denen die Frage der Grundrechtskonformität nationaler Regelungen bzw. Maßnahmen tatsächlich im Zusammenhang mit (der Ausübung von) Grundfreiheiten aufgeworfen wurde.

In der dem EuGH vom Obersten Gerichtshof vorgelegten Rechtssache Karner28 ging es um die Frage der Vereinbarkeit eines nationalen Werbeverbots nach dem österreichischen UWG mit den Vorschriften des Vertrages über den freien Warenverkehr. Konkret ging es um jene Regelung, wonach eine Werbung mit der Ankündigung, die zum Verkauf angebotenen Waren stammten aus einer Konkursmasse, verboten ist, wenn die Waren zu diesem Zeitpunkt schon aus der Konkursmasse ausgeschieden sind. Im Verfahren wurde argumentiert, dass dieses Verbot weder mit dem freien Warenverkehr noch mit der Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10 EMRK vereinbar sei.

Der EuGH bejahte zwar die Anwendbarkeit des Artikels 28 EG auf die fragliche österreichische Regelung, kam jedoch zum Ergebnis, dass es sich bei der Werbebeschränkung um eine Verkaufsmodalität im Sinne der Keck und Mithouard-Rechtsprechung29 handle und dass die fragliche Regelung daher insoweit nicht nach Artikel 28 EG verboten sei. Da die Regelung aber dennoch jedenfalls in den „Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ fiele, prüfte der EuGH im Anschluss auch die Vereinbarkeit des Artikels 28 EG mit der Meinungsfreiheit nach Artikel 10 EMRK, die er unter Berücksichtigung der Einschränkungen, die dieses Grundrecht gestattet, im Ergebnis bejahte. Der Gerichtshof antwortete daher, dass die fragliche Werbebeschränkung mit Artikel 28 EG vereinbar ist.

Hier wird deutlich, dass der EuGH für eine Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht nicht nur verlangt, dass der betreffenden Bestimmung des Gemeinschaftsrechts selbst Genüge getan wird, sondern dass gleichzeitig den relevanten Grundrechten zu entsprechen ist, in deren Lichte die betreffende Gemeinschaftsbestimmung auszulegen ist.

Im Hinblick auf den gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz besonders interessant sind aber die etwas früheren Urteile Schmidberger30 und Omega31. In der Rechtssache Schmidberger, die dem EuGH vom Oberlandesgericht Innsbruck vorgelegt wurde, ging es im Rahmen einer Schadenersatzklage eines Transportunternehmens gegen die Republik Österreich darum, ob die österreichischen Behörden dadurch gegen die Bestimmungen des freien Warenverkehrs verstoßen haben, dass sie eine Demonstration auf der Brenner-Autobahn, mit der die Autobahn für rund 28 Stunden blockiert wurde, zugelassen haben. In der Rechtssache Omega, die dem EuGH von einem deutschen Gericht vorgelegt wurde, ging es darum, ob ein Verbot einer deutschen Behörde, ein Spiel gewerblich zu betreiben, bei dem die Teilnehmer sich gegenseitig „abschießen“ (Tötungsspiel / Laserdrom), mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist. Der Anknüpfungspunkt mit der Dienstleistungsfreiheit bestand hier darin, dass die Firma, die das Laserdrom-Konzept innehat bzw. vertreibt, in Großbritannien ansässig ist und das Spiel in Deutschland vertreiben wollte.

In beiden Fällen haben sich die betroffenen Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung der Beschränkung der jeweiligen gemeinschaftlichen Grundfreiheiten, deren Anwendbarkeit im Anlassfall der EuGH jeweils bejaht hat, auf Erfordernisse des Grundrechtsschutzes berufen, und zwar in der Rechtssache Schmidberger auf die Achtung der Grundrechte der Demonstranten auf Meinungsäußerungs‑ und Versammlungsfreiheit, die in der EMRK und in der österreichischen Verfassung verankert sind, und in der Rechtssache Omega auf den Schutz der öffentlichen Ordnung wegen einer in der Tätigkeit des simulierten Tötens zu sehenden Verletzung der Menschenwürde gemäß dem deutschen Grundgesetz. Es ging in diesen Fällen somit jeweils um eine Konstellation, in der sich der betreffende Mitgliedstaat auf Erfordernisse der innerstaatlich geschützten Grundrechte stützt, um gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten zu beschränken.

Der EuGH hat in beiden Fällen festgestellt, dass der Schutz der Grundrechte ein „berechtigtes Interesse darstellt, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht auch kraft einer durch den EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit bestehen“.

Wichtig ist dabei jedoch zu sehen, von welchen Grundrechten der EuGH spricht, die Beschränkungen der Grundfreiheiten rechtfertigen können. Wie bereits erwähnt, hat der EuGH schon im Urteil Internationale Handelsgesellschaft festgestellt, dass gegen Gemeinschaftsrecht national geschützte Grundrechte als solche nicht eingewendet werden können, da sonst die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts gefährdet wäre32. Folgerichtig akzeptiert der EuGH auch in den Fällen Schmidberger und Omega nicht die Berufung auf Erfordernisse des nationalen Grundrechtsschutzes als solche, sondern wendet gewissermaßen einen Filter an, indem er untersucht, ob entsprechende gemeinschaftsrechtlich geschützte Grundrechte bestehen. Nicht überraschend für eine Gemeinschaft, die sich der Achtung der Grund‑ und Menschenrechte verschrieben hat, ist dies sowohl hinsichtlich der Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit als auch hinsichtlich des Schutzes der menschlichen Würde der Fall.

Der EuGH hat insofern die Frage der Rechtfertigung der fraglichen Grundfreiheitsbeschränkungen auf die Ebene des Europarechts gehoben, sodass er dann beantworten musste, wie die Erfordernisse des gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes mit den Grundfreiheiten in Einklang gebracht werden können. In beiden Fällen kam der EuGH unter Hinweis auf die Einschränkungen, die die betreffenden Grundrechte zulassen bzw. unter Berücksichtigung des weiten Ermessens, über das die nationalen Stellen bei der Abwägung der bestehenden Interessen verfügen – sowie nach einer abschließenden Verhältnismäßigkeitsprüfung – zum Ergebnis, dass die Zulassung einer Versammlung unter den Umständen, die der Rechtssache Schmidberger zugrunde lagen, und das Spieleverbot unter den Umständen, die der Rechtssache Omega zugrunde lagen, nicht gegen den EG-Vertrag verstoßen.33

c) Grundrecht auf Achtung und Schutz des Familienlebens

Eine besondere Bedeutung hat das Grundrecht auf Achtung und Schutz des Familienlebens im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht erlangt. Zur Illustration sei hier nur auf einen der ersten Fälle in einer Reihe von Rechtssachen, in denen es um Aufenthaltsrechte im Zusammenhang mit Grundfreiheiten ging, nämlich jener von Mary Carpenter34, verwiesen.

Es ging dabei um die Frage, ob das Gemeinschaftsrecht – genauer gesagt die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit – einer Verwehrung des Aufenthalts von Frau Carpenter im Vereinigten Königreich entgegensteht. Frau Carpenter, eine philippinische Staatsangehörige, hatte, als ihre ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis bereits abgelaufen war, den britischen Staatsangehörigen Peter Carpenter geheiratet. Frau Carpenter räumte vor Gericht zwar ein, dass sie nicht über ein eigenes Aufenthaltsrecht in irgendeinem Mitgliedstaat verfüge, machte jedoch geltend, dass sich ihre Rechte von Herrn Carpenters Rechten ableiteten, die ihm wiederum zur Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union zustünden35.

Der EuGH hat dies als Anknüpfungspunkt zu einem vom Gemeinschaftsrecht erfassten Sachverhalt anerkannt, unter anderem, weil nach ständiger Rechtsprechung Leistungen auch dann unter den Begriff der Dienstleistungen im Sinne des Artikels 49 EG fallen, wenn der Leistungserbringer die grenzüberschreitende Leistung erbringt, ohne aus dem Mitgliedstaat, in dem er wohnt, auszureisen. Der EuGH stellte allerdings fest, dass in der einschlägigen Richtlinie, d. h. im Sekundärrecht, das Recht der Familienmitglieder eines Dienstleistungserbringers auf Aufenthalt in dessen Herkunftsmitgliedstaat nicht geregelt ist, und kommt so zur Folgerung, dass diese Frage nach den allgemeinen Grundsätzen und Normen des – primären – Gemeinschaftsrechts zu beantworten ist. Er betont die Bedeutung, die der Schutz des Familienlebens der Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten hat, um die Hindernisse für die Ausübung der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu beseitigen. Er führt aus, dass sich eine Trennung der Eheleute Carpenter nachteilig auf ihr Familienleben und damit auf die Bedingungen auswirken würde, unter denen Herr Carpenter eine Grundfreiheit wahrnimmt – und er lässt dies genügen.

Die Entscheidung über die Ausweisung von Frau Carpenter stellte so, nach Entscheidung des EuGH, einen Eingriff in die Verwirklichung des Rechts von Herrn Carpenter auf Achtung seines Familienlebens im Sinne des Artikels 8 der EMRK dar, das in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu schützen ist. Der EuGH entschied daher, dass die Dienstleistungsfreiheit, ausgelegt im Lichte des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens, dem entgegensteht, Frau Carpenter das Aufenthaltsrecht zu verwehren.

Grundgedanke ist in diesem Fall, dass eine ungestörte Wahrnehmung der Grundfreiheit den Schutz der Grundrechte voraussetzt. Der Zusammenhang mit dem Grundrechtsschutz wird hier daher über mögliche Beeinträchtigungen der fraglichen Grundfreiheit hergestellt, wenngleich dieser Zusammenhang ein bereits sehr mittelbarer ist. Diese Entscheidung zog daher eine Flut kritischer Aufsätze und Anmerkungen nach sich und wurde sogar als „Systembruch“ bzw. „Versuchsballon“ bezeichnet.

Abschließende Bemerkungen

Vor allem im zuletzt angeführten Bereich klingt eine Entwicklung an, die man als Emanzipation der Grundrechte von ihrem Binnenmarkt-Zusammenhang bezeichnen kann und die den Übergang vom Markt- zum Unionsbürger kennzeichnet. Der EuGH hat diese Entwicklung in jüngerer Zeit in einer Reihe von Fällen zum Status der Unionsbürgerschaft vorangetrieben36. In diesen Urteilen, die Artikel 18 Absatz 1 EG betreffen, hat der Gerichtshof wiederholt ausgeführt, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in einer gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – und unbeschadet insoweit ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen – die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen. Nach diesem Unionsbürgerstatus ist es ausreichend, sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um sich auf den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz berufen zu können. Wir sprechen allerdings noch nicht von allen Grundrechten, sondern hier ausschließlich vom Grundrecht auf Nicht-Diskriminierung nach der Staatsbürgerschaft.

In diesem Sinne ist die zunehmende Bedeutung des Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht Ausdruck der Entwicklung einer Gemeinschaft mit wirtschaftlichem Schwerpunkt hin zu einer politischen Union, die ihre Legitimation auch gerade aus der Gewährleistung eines angemessenen Schutzniveaus im Bereich der Grund‑ und Menschenrechte schöpft. Längst hat das Anliegen des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft aber auch die Sphäre des Rechtsschutzes im engeren Sinn verlassen und beispielsweise zu dem auch von Österreich mitinitiierten Vorschlag zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte37 geführt.

Die Rolle des EuGH im Bereich des Grundrechtsschutzes würde dadurch keineswegs geschmälert, vielmehr soll die geplante Agentur die Union bzw. die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Förderung und Aufrechterhaltung des allgemeinen Grundrechtsstandards mit ihrer Expertise unterstützen.38

Wenngleich, wie sich auch im Rahmen der Ausführungen gezeigt hat, ein gewisser Bedarf für eine bessere Koordination der verschiedenen Grundrechtsebenen besteht, so wird sicherlich darauf zu achten sein, dass durch weitere Initiativen nicht zu einer unnötigen Multiplikation der Akteure in diesem Bereich beigetragen wird.


1 – Urteil vom 12. November 1969 in der Rechtssache 29/69 (Slg. 1969, 419).

2 – Zur Tiefe der möglichen Eingriffe von Rechtsakten der Gemeinschaft denke man ganz allgemein nur an die manchmal sogar milliardenschweren Geldbußen, die die Kommission im Rahmen des Wettbewerbsrechts einzelnen Unternehmen auferlegen kann.

3 – Urteil vom 29. Mai 1974, BVerfGE 37.

4 – Urteil vom 22. Oktober 1986, BVerfGE 73.

5 – Zuletzt kam der „Souveränitätsvorbehalt des deutschen Grundgesetzes“ (die EMRK hat in Deutschland den Status eines Bundesgesetzes) im Zusammenhang mit einem Urteil aus Straßburg deutlich zum Ausdruck: Mit Verweis auf die Souveränität des Grundgesetzes hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht ein Urteil des EGMR zum selben Fall nur unter Vorbehalt umgesetzt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004, 2 BvR 1481/04).

6 – Urteil vom 17. Dezember 1970 in der Rechtssache 11/70 (Slg. 1970, 1125).

7 – Siehe auch „Europäischer Grundrechtsschutz aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“, Luzius Wildhaber, EuGRZ 2005, S. 689.

8 – Die Frankfurter Allgemeine fasste das Mitte vergangenen Jahres – aus deutscher Sicht – so zusammen: „Straßburger Vorherrschaft und Karlsruher Vorbehalt: Wenn es um den Grundrechtsschutz in Europa geht, kann man leicht den Überblick verlieren ...“, FAZ vom 7. Juli 2005.

9 – Zuletzt schlug der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker in seinem am 11. April 2006 vorgelegten Bericht betreffend das Verhältnis zwischen dem Europarat und der Europäischen Union (neuerlich) insbesondere den Beitritt der EU zur EMRK und den Beitritt der EU zum Europarat vor.

10 – Gutachten vom 28. März 1996 (Slg. 1996, I‑1759).

11 – Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C‑299/95 (Slg. 1997, I‑2629).

12 – Man könnte diese Praxis am ehesten wohl als eine Art „autonomen Nachvollzug“ der Rechtsprechung des EGMR bezeichnen.

13 – Urteil vom 26. Juni 1997 in der Rechtssache C‑368/95 (Slg. 1997, I‑3689).

14 – EGMR, Urteil vom 24. November 1993 ( Serie A, Nr. 276).

15 – Die Rechtssache Familiapress war übrigens die erste Rechtssache vor dem EuGH, in der der Meinungsfreiheit diese Bedeutung zukam.

16 – Entscheidung des EGMR im Fall M. & Co. (Melchers) gegen Deutschland vom 9. Februar 1990:
Gegenstand des Falles war die Frage, ob ein Bußgeldentscheid der Europäischen Kommission in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden dürfe. Die von der betroffenen Firma gegen den Bußgeldbescheid vor dem EuGH erhobene Nichtigkeitsklage hatte nur zum Teil Erfolg. Das deutsche Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel in Deutschland unter Berufung auf Solange II nicht an. Im Verfahren vor der EKMR machte die Beschwerdeführerin insbesondere geltend, der EuGH habe bei seiner Entscheidung Artikel 6 Absatz 2 und Absatz 3 lit. c der EMRK nicht beachtet.

17 – EGMR, Urteil vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98.

18 – Beispiele für divergierende Ergebnisse:         
EuGH, Urteil vom 21. September 1989 in den verbundenen Rechtssachen 46/87 und 227/88 (Hoechst, Slg. 1989, 2859) und EGMR, Urteil vom 5. April 1990, Niemitz gegen Deutschland, Nr. 13710/88 oder EuGH, Urteil vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87 (Orkem, Slg.1989, 3283) und EGMR, Urteil vom 25. Februar 1993, Funke gegen Frankreich, Serie A, Nr. 256.

19 – Von Interesse dürfte hier die Behandlung des zurzeit beim EuGH anhängigen Rechtsmittels (Rechtssache C‑402/05 P, Kadi) werden, das gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz in den Rechtssachen T‑305/01 und T‑315/01 vom 21. September 2005 eingebracht wurde. Das EuGeI entschied, dass der EU-Rat für die Verhängung wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen, wie das Einfrieren von Geldern, gegenüber Privatpersonen im Rahmen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus zuständig ist. Soweit diese Maßnahmen vom Sicherheitsrat der UNO gefordert werden, seien sie der gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen; sie verletzen nach Dafürhalten des EuGeI nicht die geschützten Grundrechte der Kläger.

20 – Vgl. etwa Randnr. 125, EuGH, Urteil vom 12. Mai 2005 in der Rechtssache C‑347/03 (Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und Agenzia regionale per lo sviluppo rurale [ERSA] gegen Ministero delle Politiche Agricole e Forestali): Es ging u. a. um die Frage, ob das Verbot, das auf der Grundlage des Briefwechsels zum Tocaj-Wein, der dem Abkommen EG-Ungarn über Weine beigefügt ist, für Wirtschaftsteilnehmer der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien erlassen worden ist, das Wort „Tocai“ in der Angabe „Tocai friulano“ oder „Tocai italico“ zur Bezeichnung und Aufmachung bestimmter italienischer Qualitätsweine zu verwenden, dem Eigentumsrecht nach Artikel 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK widerspricht. Der EuGH verneinte dies im Ergebnis.

21 – Dies gilt auch für Fragen im Zusammenhang mit Minderheitenschutz. Vgl. hiezu etwa auch [wird noch ergänzt].

22 – Dementsprechend hat der EuGH gemäß seiner ständigen Rechtsprechung im Vorabentscheidungsverfahren dann, wenn eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, dem vorlegenden Gericht auch alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den gemeinschaftsrechtlich geschützten Grundrechten beurteilen zu können.

23 – Urteile vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C‑260/89 (ERT Elliniki Radiophonia Tiléorassi, Slg. 1991, I‑2925) und in der Rechtssache Familiapress (zitiert in Fußnote 12).

24 – Urteil zitiert in Fußnote 11.

25 – Beschluss vom 6. Oktober 2005 in der Rechtssache C‑328/04 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).

26 – Urteil vom 20. Mai 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑465/00, C‑138/01 und C‑139/01 (Slg. 2003, I‑4989).

27 – Und zwar aus der Überlegung, dass sie seiner Meinung nach nicht betreffend die Ausübung von Tätigkeiten erfolgten.

28 – Urteil vom 25. März 2004 in der Rechtssache C‑71/02 (Slg. 2004, I‑3025).

29 – Urteil vom 24. November 1993 in den verbundenen Rechtssachen C‑267/91 und C‑268/91 (Slg. 1993, I‑6097).

30 – Urteil vom 12. Juni 2003 in der Rechtssache C‑112/00 (Slg. 2003, I‑5659).

31 – Urteil vom 14. Oktober 2004 in der Rechtssache C‑36/02 (Slg. 2004, I‑9609).

32 – Dies wird insbesondere in der Rechtssache Omega deutlich, da der Schutz der Menschenwürde im deutschen Grundgesetz – als einzigem Mitgliedstaat – ausdrücklich festgeschrieben ist, was aber natürlich nicht bedeutet, dass die Verfassungen anderer Mitgliedstaaten diesen Grundsatz nicht genauso anerkennen.
Der Stellenwert der Menschenwürde im deutschen Grundgesetz, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keinerlei Einschränkung zugänglich ist, wird in ganz anderem Zusammenhang deutlich: Urteil BVG vom 16. Februar 2006, 1 BvR 357/05, Luftsicherheitsgesetz (Abschussmöglichkeit einer Passagiermaschine in Gewalt von Terroristen verstößt gegen das Grundgesetz).

33 – Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte im Rahmen der III. Säule statuiert der EuGH in der Rechtssache C‑105/03 (Pupino, Urteil vom 16. Juni 2005, Slg. 2005, I‑5285). Er trifft diese Ausführungen im Zusammenhang mit wesentlichen Aussagen zu den Rechtswirkungen von Rahmenbeschlüssen im Sinne von Artikel 34 EUV.

34 – Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑60/00 (Slg. 2002, I‑6279).

35 – Die Berufstätigkeit von Herrn Carpenter bestand zu einem erheblichen Teil in der Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt in anderen Mitgliedstaaten.

36 – Urteile vom 15. März 2005 in der Rechtssache C‑209/03 (Bidar, Slg. 2005, I‑2119), vom 19. Oktober 2004 in der Rechtssache C‑200/02 (Chen, Slg. 2004, I‑9925), vom 23. September 2003 in der Rechtssache C‑109/01 (Akrich, Slg. 2003, I‑9607) und vom 2. Oktober 2003 in der Rechtssache C‑148/02 (Garcia Avello, Slg. 2003, I‑11613).

37 – Nach dem Vorschlag der Kommission soll dazu die in Wien eingerichtete Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entsprechend umgewandelt und erweitert werden.

38 – Die Aufgaben liegen also im Bereich der Begutachtung des nationalen Grundrechtsstandards, der Förder- und Informationstätigkeiten und der Koordination des Gemeinschaftshandelns im Bereich der Grund- und Menschenrechte. Geplant ist auch die jährliche Erstellung eines Berichts über die Lage der Grundrechte in der Union.

 
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